Warum Österreichs Städte beim Lebensstandard an der EU-Spitze liegen

23. Mai 2022

In Österreich bleibt Großstädter*innen so viel Geld für die „schönen Dinge des Lebens“ wie in keinem anderen Land der EU. Dafür sorgen gute öffentliche Dienstleistungen in den Bereichen Wohnen, Verkehr, Bildung und Gesundheit. Trotzdem sinkt aufgrund steigender Mieten auch hierzulande dieser Anteil. Dieser negative Trend sollte mit einem Ausbau des sozialen Wohnbaus bekämpft werden.

Mehr zum Leben durch den Sozialstaat

Explodierende Mieten, Verkehrschaos, Bildungsmisere – so kennt man das aus vielen Großstädten Europas. Corona hat die Probleme vielerorts verschärft. Die Lebensqualität in urbanen Zentren hängt – neben dem allgemeinen Niveau des real verfügbaren Einkommens – maßgeblich von der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Bereichen Wohnen, Verkehr, Bildung und Gesundheit ab. Österreichs Großstädte sind dabei führend und bieten ihren Bewohner*innen deshalb auch den im europäischen Vergleich höchsten Lebensstandard.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die ich gemeinsam mit meinem Kollegen Roman Römisch am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) erarbeitet habe. Wir haben uns angesehen, was die Lebensqualität in europäischen Großstädten am meisten beeinflusst. Fazit: Weil die Wohlfahrtsstaaten in Skandinavien und Mitteleuropa viel stärker in öffentliche Dienstleistungen investieren als ihre angelsächsischen und südeuropäischen Pendants, bleibt den Menschen dort auch wesentlich mehr Geld zum Leben übrig. An der Spitze stehen Österreichs Großstädte. Der Hauptfaktor ist der soziale Wohnbau: Ein relativ hoher Anteil an öffentlichem bzw. gemeinnützigem Wohnungseigentum dämpft hierzulande die Mieten. Umgekehrt müssen Bewohner*innen von Städten mit stark kommerzialisiertem Wohnungsmarkt bei den privaten Konsumausgaben sparen. Ein gutes Beispiel dafür ist Italien.

Der „Schöner leben und öffentliche Daseinsvorsorge“-Index

Anhand des „Urban Public Services and Liveability Index“ (UPSLIde) haben wir untersucht, wofür die Menschen in Europas Großstädten ihr Geld ausgeben. Großstädte verstehen sich als urbane Zentren mit mehr als 100.000 Einwohner*innen. In Österreich sind das neben Wien auch noch Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt. Der Index zeigt, welcher Anteil des Haushaltseinkommens für die Grundbedürfnisse Wohnen, Transport, Bildung und Gesundheit aufgewendet werden muss und wie viel im Vergleich dazu für jene Güter und Dienstleistungen zur Verfügung steht, die das Leben darüber hinaus lebenswert machen. Auf die Kosten für Wohnen, Transport, Bildung und Gesundheit nimmt die Politik über die öffentliche Daseinsvorsorge Einfluss. Damit bestimmt sie indirekt auch darüber, wie viel Geld den Menschen für Urlaub, Gastronomie, Kultur oder Sport – also die schönen Dinge des Lebens – bleibt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Gemessen an den Kosten für die Daseinsvorsorge ist das in Österreichs Großstädten europaweit am meisten. Ihre Bewohner*innen geben rund 70 Prozent von dem, was sie für ihre Grundbedürfnisse aufwenden, für die schönen Dinge des Lebens aus. In Frankreichs Großstädten sind es 65 Prozent (Platz 2), in jenen der Niederlande 63 Prozent (Platz 3) und in schwedischen 58 Prozent (Platz 4). Damit befinden sich unter den Top 4 in Europa ausschließlich Länder mit einem wenig kommerzialisierten Wohnungsmarkt und gleichzeitig Großstädten mit einem hohen Anteil an sozialem Wohnbau.

Negativer Trend

Langfristig betrachtet ist der Trend in europäischen Großstädten allerdings eindeutig negativ, auch in Österreich. So sank der Anteil der Konsumausgaben für die schönen Dinge des Lebens (gemessen an den Ausgaben für Grundbedürfnisse im europäischen Schnitt) von rund 70 Prozent Ende der 1980er-Jahre auf weniger als 50 Prozent in den 2010er-Jahren. In Österreich ging er von gut 77 Prozent im Jahr 1999 auf rund 70 Prozent im Jahr 2015 zurück. Ein wichtiger Grund für diesen generellen Trend sind steigende Wohnkosten. In Österreichs Großstädten wurde dieser europäische Trend allerdings durch fallende Transportkosten abgefedert. In den Niederlanden hingegen sind zuletzt insbesondere die Transportkosten der Haushalte in den großen Städten stark angestiegen, was zu einem noch stärkeren Rückgang der Ausgaben für die schönen Dinge des Lebens geführt hat. Auffallend ist jedenfalls das weitaus höhere Niveau der Haushaltsausgaben für die schönen Dinge des Lebens relativ zu den Ausgaben für die Daseinsvorsorge in den Großstädten der Wohlfahrtsstaaten Skandinaviens und Mitteleuropas im Vergleich zu Süd- und Osteuropa, wo es eine andere institutionelle Entwicklung gegeben hat.

Ausbau des sozialen Wohnbaus gegen steigende Mieten

Um diesen Negativtrend umzukehren, empfehlen wir einen Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge. Insbesondere den steigenden Wohnungsmieten muss mit einem massiven Ausbau des sozialen Wohnbaus begegnet werden. Wichtig ist, dass die von der Corona-Krise verursachten Budgetlöcher nicht auf Kosten der öffentlichen, insbesondere kommunalen Daseinsvorsorge gehen.

Den großen Städten und ihren kommunalen Investitionen kommt nicht zuletzt aufgrund der enormen Herausforderungen der grünen und digitalen Transformation im verdichteten urbanen Raum eine besondere Bedeutung zu. Öffentlicher Nahverkehr, Wohnen, Bildung und Kinderbetreuung sind die Leistungen, die die Städte attraktiv machen und den Menschen ein schöneres Leben ermöglichen. Sie auszubauen nützt nicht nur den Bewohner*innen der Städte, sondern auch den Menschen im Umland, wie sich zuletzt auch in der Zurverfügungstellung zentraler Gesundheitsdienste während der Covid-19-Pandemie gezeigt hat. Die aktuelle Energiepreiskrise im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine verdeutlich dies noch zusätzlich. Gerade die Gemeinden können einen großen Beitrag dazu leisten, die fragile Konjunkturentwicklung zu stabilisieren, den Kampf gegen den Klimawandel zu forcieren und damit auch die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern – etwa russischem Erdgas – zu reduzieren. Ein Investitionsstau auf kommunaler Ebene, wie er nach der globalen Finanzkrise aufgrund einer fehlgeleiteten Sparpolitik zu beobachten war, sollte dieses Mal tunlichst vermieden werden.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um zentrale Ergebnisse der wiiw-Studie „Public Services and Liveability in European Cities in Comparison“, die im Auftrag des Österreichischen Städtebundes und des Büros für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft der Stadt Wien erstellt wurde.

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