Öffentliche Dienstleistungen können auch durch Konzernklagen unter Druck kommen

14. April 2016

Die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen wird seitens der Europäischen Kommission seit Jahren mit Engagement verfolgt. Mit dem Abschluss von EU-Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA kann der politische Handlungsspielraum zur Regulierung, Erbringung und Finanzierung von Dienstleistungen der Daseinsversorgung erheblich beeinflusst werden. Damit geraten öffentliche Dienstleistungen noch stärker unter Druck.

Daseinsvorsorge orientiert sich an dem Grundgedanken, Leistungen in hoher Qualität flächendeckend allen Menschen sozial gerecht und diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. In Österreichwerden werden nach wie vor viele Leistungen der Daseinsvorsorge wie Wasser, Bildung, Gesundheit oder Soziale Dienste von der öffentlichen Hand erbracht. Der Abschluss von Freihandelsabkommen kann dazu führen den politischen Handlungsspielraum in der öffentlichen Daseinsvorsroge erheblich einschränken.

Das Investitionskapitel in den in Verhandlung stehenden europäischen Freihandelsabkommen mit USA (TTIP), Kanada (CETA) (ist bereits ausverhandelt!), Singapur, Japan & Co gibt ausländischen Konzernen bei ihren Investitionen, Beteiligungen aber auch vertraglichen Vereinbarungen wie Dienstleistungskonzessionen das Recht bei behaupteter Verletzung von privilegierten Investitionsschutzstandards den Staat unmittelbar zu verklagen. Welche Auswirkungen dies konkret haben kann, sollen die folgenden Beispiele aus dem Bereich Wasserversorgung demonstrieren:

Aguas del Tunari versus Bolivien – der „Wasser-Krieg“

Ende 1990 hat Cochabamba auf Druck der Weltbank seine Wasserversorgung ausgelagert und diese der U.S.-Tochterfirma „Aguas del Tunari“ mit einer 40-jährigen Konzession übertragen. Aguas del Tunari wurde durch eine niederländische Briefkastenfirma kontrolliert. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu massiven Wasserpreiserhöhungen und Versorgungsproblemen. Die Bevölkerung protestierte lautstark. Als Folge der weiteren Ausschreitungen, die auch ein Menschenleben kosteten, floh das Management aus dem Land. Der „Wasser-Krieg“ endete mit einem Sieg der Zivilgesellschaft über einen multinationalen Konzern. Aguas del Tunari hatte während seiner rund 4-monatigen Tätigkeit in Bolivien kaum Investitionen getätigt, nutzte jedoch das ISDS-Privileg im bolivianisch-niederländischen BIT, um Bolivien zu klagen.

Wasserversorgungs-Konzessionsnehmer verklagen Argentinien

Anfang der 90er-Jahre nahm Argentinien wegen der massiven Finanzkrise umfangreiche Privatisierungen vor. Allein in der Wasserver- und Abwasserentsorgung wurden insgesamt achtzehn Konzessionsverträge vergeben, wovon zwischen 1997 und 2008 neun vorzeitig beendet wurden. Sechs dieser Investoren klagten Argentinien vor einem privaten ad-hoc-Schiedsgericht.

So klagte ua der französische Wasserversorger SAUR 2004, weil die Provinz Mendoza in der Wirtschaftskrise mit Rücksicht auf die prekäre soziale Situation die vom Unternehmen geforderte Wasserpreiserhöhung nicht durchsetzen wollte. SAUR argumentierte, dass dies einer Enteignung gleichkäme. Das ISDS-Tribunal befand Argentinien für schuldig, es musste rund 45 Mio. US-$ Entschädigung zahlen.

Buenos Aires, schloss 1999 einen 30-jährigen Konzessionsvertrag mit Azurix, einer Tochtergesellschaft des US-Konzerns ENRON, ab. Auch dieser Konzessionsvertrag führte zu massiven Preiserhöhungen, Versorgungsproblemen und mangelnden Infrastrukturinvestitionen. Mit dem Bankrott der Konzernmutter ENRON konnte Azurix die Vertragsbedingungen nicht einhalten und beendete diesen. Nichtsdestotrotz brachte Azurix eine Klage beim ISDS-Schiedsgericht ein. Argentinien hätte angeblich den Vertrag gebrochen, weil die Behörden vorsätzlich die Wasserpreiserhöhungen verzögert hätten. Das Schiedsgericht gab Azurix Recht und Argentinien hatte 165 Mio. US-$ zuzüglich Zinsen zu zahlen.

Auch EU-Mitgliedstaaten werden verklagt

2014 verklagten der estnische Wasserversorger „AS Tallinna Vesi“ und sein Großaktionär, die niederländische „United Utilities Talinn“, die estnische Regierung auf entgangenen Gewinn in der Höhe von 90 Millionen €, weil sie die Wasserpreise nicht erhöhen konnten. In den Jahren 2011–2013 waren diese geplanten Erhöhungen der Wasserpreise von der Regulierungsbehörde abgelehnt worden. Ermöglicht wurde diese Klage durch ein BIT zwischen Estland und den Niederlanden. Das Schiedsverfahren ist anhängig.

Gemeinwohlinteressen sind nachrangig

Gerade die Wasserversorgung und der Wasserpreis sind sozialpolitisch besonders heikel, weshalb auch die UNO den Zugang zu sicherem und sauberem Trinkwasser und zu sanitären Einrichtungen als Menschenrecht anerkennt. Die Preissetzung für das öffentliche Gut Wasser muss meist von einer Regulierungsbehörde genehmigt werden, die auch sozio-ökonomischen Kriterien, nämlich die Leistbarkeit des Wassers für die gesamte Bevölkerung, verpflichtet ist. Der Interessenskonflikt zwischen dem Gemeinwohl und privatwirtschaftlicher Profitmaxime ist vorprogrammiert – vor allem dann, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Situation im Laufe der meist langfristigen Konzessionslaufzeit nicht wie erwartet entwickelt. Ist dies der Fall, übernimmt ganz offensichtlich der Staat mit den Investitionsschutzverpflichtungen das wirtschaftliche Risiko des Konzessionsnehmers bezüglich sozio-ökonomischer Krisen.

Bei der Abwägung im Interessenskonflikt des öffentlichen Interesses an „leistbarem Wasser“ und dem profitgeleiteten Interesse der Konzessionsinhaber vor einem privaten Schiedsgericht sitzen die Kläger offensichtlich am längeren Ast. Bei der Auslegung der Investitionsschutzbestimmungen der Freihandelsabkommen geht es nämlich nicht um die Anwendung nationaler Gesetze oder Umsetzung öffentlicher Interessen an leistbarem Wasser für alle. Es werden auch nicht die unterschiedlichen Interessen, wie Pflichten der öffentlichen Hand und Gewinnerwartungen des Investors, gegeneinander abgewogen. Entsprechend den privilegierten Investitionsschutzbestimmungen wird nur der mögliche wirtschaftliche Schaden des Investors geprüft und berechnet, so er sich rechtmäßig auf ein Abkommen beruft. Die sozialen Kriterien, die Grundlage für das Handeln der Regulierungsbehörde sind, spielen keine Rolle. Konzessionsverträge sind somit ein sicheres Geschäft für den ausländischen Investor und die BürgerInnen haben jedenfalls den Preis zu zahlen.

Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen auch vom Investitionsschutz sowie Investor-Staat- Schiedsgerichtsbarkeit

Am Beispiel einer öffentlichen Dienstleistung kann gut dargestellt werden, dass Staaten – und insbesondere ihre BürgerInnen – bei privilegierten Klagerechten nichts zu gewinnen haben, sondern dass diese ausschließlich im Interesse von Konzernen abgeschlossen werden, um ihre Profitinteressen abzusichern und das wirtschaftliche Risiko auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Dies spricht einmal mehr dafür zu fordern: Dienstleistungen der Daseinsvorsorge müssen von der öffentlichen Hand erbracht werden und sind vom Geltungsbereich von Handels- und Investitionsschutzabkommen gänzlich auszunehmen.

Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form in wirtschaftspolitik-standpunkte 1/2016.