Migrant Wealth Gap: Migrant:innen besitzen weniger Vermögen – die 2. Generation scheint aber aufzuholen

04. Oktober 2022

Zwischen autochthonen Österreicher:innen und Personen mit Migrationshintergrund gibt es eine große Vermögenslücke. Letztere besitzen im Mittel nur rund 16.000 Euro und damit um ca. 43.000 Euro weniger als autochthone Österreicher:innen. Der Migrant Wealth Gap ist aber für in Österreich Geborene (zweite Generation) deutlich niedriger als für im Ausland Geborene. Unterschiede bei den erhaltenen Erbschaften können einen Teil der Vermögenslücke erklären, der große unerklärte Teil könnte aber auch auf eine Diskriminierung beim Vermögensaufbau hindeuten.

Vermögen ist in Österreich in der gesamten Bevölkerung äußerst ungleich verteilt. Aber auch zwischen verschiedenen Gruppen gibt es große Unterschiede. Frauen besitzen beispielsweise weniger Vermögen als Männer, jüngere weniger als ältere und Personen mit niedrigerer Bildung weniger als jene mit höherer Bildung. Unsere Studie zeigt nun erstmals, dass es auch zwischen sogenannten „autochthonen“ Österreicher:innen, die keinen Migrationshintergrund haben, und jenen mit Migrationshintergrund teils große (Netto-)Vermögensunterschiede gibt. Diese Vermögenslücke ist für Migrant:innen erster Generation (im Ausland geboren) allerdings viel größer als für jene zweiter Generation (mindestens ein Elternteil im Ausland geboren). Das deutet darauf hin, dass es eine Art Aufholeffekt gibt und sich die Vermögenslücke mit der Zeit schließt.

Warum ist die Untersuchung des Migrant Wealth Gaps überhaupt wichtig?

Vermögen ist neben Einkommen und Beschäftigung ein wichtiger Indikator der (ökonomischen) Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, da es viele wichtige Funktionen erfüllt. Es dient vorrangig zur Absicherung in Form eines „Notgroschens“ für unerwartete Ausgaben oder in Lebensphasen abseits der Lohnarbeit. Immobilienvermögen kann direkt als Eigenheim genutzt werden, wodurch Mietzahlungen wegfallen. Für die überwiegende Mehrheit nicht von großer Bedeutung ist die Funktion der Einkommenserzielung (z. B. Zinsen, Dividenden), der Weitergabe (Vererbung oder Schenkung) und der Machtausübung (z. B. Einflussnahme durch Spenden). Die Frage, wie viel Vermögen Menschen mit Migrationshintergrund haben und ob sie sich in Österreich etwas aufbauen können und wodurch etwaige Vermögensunterschiede entstehen könnten, ist daher höchst relevant – zumal Österreich ein Land mit langer Tradition und Abhängigkeit von Einwanderung ist (aktuell hat rund ein Viertel der Bevölkerung Migrationshintergrund).

Der Migrant Wealth Gap ist bei Migrant:innen der ersten Generation am größten

Im unteren Bereich der Vermögensverteilung, also dort, wo die Grenze zum ärmsten Zehntel bzw. zum ärmsten Viertel der Personen zu finden ist, ist der Vermögensunterschied zwischen Österreicher:innen und Migrant:innen sehr klein. Das liegt vor allem daran, dass hier bei beiden Gruppen kaum Vermögen vorhanden ist. Migrant:innen der ersten Generation besitzen in diesem Bereich um knapp 2.000 Euro bzw. 9.000 Euro weniger, bei jenen der zweiten Generation sind es rund 1.000 Euro bzw. 5.000 Euro. In der Mitte der Vermögensverteilung ist die Lücke zu den Österreicher:innen und Migrant:innen der ersten Generation mit ca. 49.000 Euro rund doppelt so hoch wie bei der zweiten Generation mit rund 26.000 Euro. Im oberen Bereich der Vermögensverteilung – dort, wo das reichste Viertel bzw. das reichste Zehntel beginnt – besitzen autochthone Österreicher:innen schon um 117.000 Euro bzw. um 138.000 Euro mehr als Migrant:innen der ersten Generation. Bei Migrant:innen der zweiten Generation bleibt die Vermögenslücke bei der Grenze zum reichsten Viertel relativ konstant bei etwa 28.000 Euro und schließt sich ganz oben sogar wieder: Hier besitzen Migrant:innen zweiter Generation rund 3.000 Euro mehr als autochthone Österreicher:innen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Erkenntnis, dass die Vermögenslücke bei Migrant:innen zweiter Generation viel geringer ist bzw. im obersten Bereich der Verteilung sogar verschwindet, gibt Grund zur Hoffnung, dass es in Österreich mit zunehmender Zeit zur ökonomischen Integration von Personen mit Migrationshintergrund kommt – also dass sich (zumindest was die zweite Generation betrifft) im Vergleich zu autochthonen Österreicher:innen ähnlich viele etwas aufbauen können. Hinweis darauf geben auch unsere Ergebnisse zur Vermögensverteilung der Migrant:innen der ersten Generation nach Dauer ihres Aufenthalts in Österreich: Jene, die schon länger in Österreich wohnen, haben mehr Vermögen als jene, die erst seit Kurzem in Österreich wohnen.

Der Migrant Wealth Gap lässt sich vor allem durch Unterschiede beim Erben erklären

Neben der Abschätzung der Höhe der Vermögenslücke haben wir auch untersucht, ob sich die Vermögensunterschiede durch Unterschiede bei Alter, Bildung, Haushaltsgröße und -zusammensetzung, Einkommen oder Erbschaften erklären lassen können. Denn Migrant:innen erster Generation sind beispielsweise älter, haben etwas niedrigere Bildung, weniger Einkommen, viel seltener hohe Erbschaften erhalten und leben häufiger in Paar-Haushalten als autochthone Österreicher:innen. Im Vergleich dazu sind sich autochthone Österreicher:innen und jene mit Migrationshintergrund zweiter Generation viel ähnlicher.

Bei der ökonometrischen Analyse stechen zwei Ergebnisse besonders hervor. Erstens: Bei Migrant:innen der ersten Generation lässt sich ein großer Teil der Vermögenslücke durch die Unterschiede bei sozioökonomischen und demografischen Merkmalen erklären – hier stechen vor allem die Erbschaften hervor. Diese haben einen positiven Effekt auf die Vermögenslücke. Das heißt, die geringeren Erbschaften der Migrant:innen erster Generation (im Vergleich zu autochthonen Österreicher:innen) können (zum Teil) erklären, warum diese Personen mit Migrationshintergrund weniger Vermögen haben. Im Umkehrschluss bedeutet das: Hätten sie ähnlich häufig geerbt wie die autochthonen Österreicher:innen, wäre die Vermögenslücke geringer.

Zweitens: Dadurch, dass sich Migrant:innen der zweiten Generation (bei den beobachteten Merkmalen) kaum von den autochthonen Österreicher:innen unterscheiden, lässt sich auch nur ein geringer Teil der Vermögenslücke durch Unterschiede in den Merkmalen erklären. Aber auch hier stellen Erbschaften den wichtigsten Faktor dar – jedoch in die andere Richtung. Dadurch, dass Migrant:innen der zweiten Generation etwas häufiger höhere Erbschaften erhalten als Österreicher:innen, fällt die Vermögenslücke geringer aus.

Fazit

Die Haupterkenntnisse des Papiers in Kurzform:

  • Es gibt eine Vermögenslücke – einen sogenannten Migrant Wealth Gap – zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und autochthonen Österreicher:innen.
  • Die Vermögenslücke ist bei Migrant:innen der zweiten Generation deutlich kleiner, was ein Indiz für die ökonomische Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ist.
  • Dass ein großer Teil der Vermögenslücke (sowohl von Migrant:innen erster als auch zweiter Generation) nicht durch die berücksichtigten Merkmale erklärbar ist, kann auch auf eine mögliche Diskriminierung von Personen mit Migrationshintergrund beim Vermögensaufbau hindeuten (beispielsweise durch strukturelle Hürden bei Bildungs- und Staatsbürgerschaftserwerb oder auf dem Arbeitsmarkt).

Dieser Beitrag basiert auf dem im European Journal of Population veröffentlichten Paper „A Tale of Integration? The Migrant Wealth Gap in Austria“.

Co-Autor:innen der Studie:

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Miriam Rehm ist Juniorprofessorin für empirische Ungleichheitsforschung am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen und affiliiert am Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien.

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Matthias Schnetzer ist Refe­rent für Ver­tei­lungs­fra­gen sowie Sozial- und Wirt­schafts­statis­tik in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien und Lektor an der WU Wien.

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