Lustig: die Presse veröffentlicht inexistente Studie

11. Juli 2013

Die Presse widmete einer angeblichen Studie der IV am 10.7.2013 gleich das ganze Titelblatt. Doch am selben Tag stellte die Statistik Austria klar, dass es diese Studie gar nicht gibt. Es handelt sich vielmehr um drei Tabellen mit Daten von unselbständig Erwerbstätigen, die sowohl 2000 bis 2011 beschäftigt waren. Diese zeigen unter anderem, dass entgegen der IV-Thesen sogar mehr Menschen in der Einkommenshierarchie ab- denn aufgestiegen sind.

Der Grundtenor des Presse-Artikels lautet, die auseinandergehende Einkommensschere sei nichts als ein Mythos. „In kaum einem anderen Land gelingt Einkommensschwachen der soziale Aufstieg so gut wie in Österreich.“ Woher kommen die neuen Erkenntnisse? Die Industriellenvereinigung habe angeblich bei der Statistik Austria eine Studie in Auftrag gegeben, die nicht die gegebene Einkommenssituation zu einem Zeitpunkt analysiert, sondern beobachtet, wie sich die persönlichen Einkommen der unselbstständigen Erwerbstätigen von 2000 bis 2011 verändert haben.

Die IV hatte dann rasch ihre Schlussfolgerungen am Tisch:

  • “Die Karten werden jeden Tag neu gemischt”, sagt Clemens Wallner, wirtschaftspolitischer Koordinator in der Industriellenvereinigung. Der Anteil der verfestigten Armut sei sehr gering. “Die Einkommensschere geht in Österreich nicht auf”
  • Nur 26 Prozent jener Menschen, die zu den zehn Prozent mit den geringsten Einkommen zählten, verharrten in ihrer prekären Situation. Drei Viertel schafften den Aufstieg.
  • Finanzielle Unsicherheit hält nicht lang an. Die wenigsten der zwölf Prozent Armutsgefährdeten leben angeblich lange in finanzieller Unsicherheit. Innerhalb von zwei Jahren gelingt es 70 Prozent, sich zu festigen. “Niemand ist in der Armut gefangen”, sagt Wallner.
  • Die IV verweist aber darauf, dass es im Bildungsbereich Nachholbedarf gibt. Wer aus einem bildungsfernen Elternhaus stammt, schafft kaum eine höhere Qualifikation. Nur 26 Prozent des österreichischen Nachwuchses erreichen einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern.

Die Statistik Austria dementierte und stellte klar

Die Statistik Austria distanzierte sich von den Schlussfolgerungen ebenso, wie von der Behauptung, dass es eine Studie gibt. „Statistik Austria legt Wert auf die Feststellung, dass die zitierte “Studie” von Statistik Austria in dieser Form nicht existiert.“ Die Industriellenvereinigung hat eine Auswertung von Lohnsteuerdaten beauftragt. Es handelt sich um drei einseitige Datentabellen.

Die Statistik Austria wies auf folgende Punkte hin:

  • Die Auswertung bezieht sich nur auf die unselbständig Erwerbstätigen, die sowohl 2000 bis 2011 beschäftigt waren. Das sind nur 43% der in einem dieser Jahre unselbständig Erwerbstätigen. D.h. alle Personen, die arbeitslos wurden, kamen nicht vor. Wenn man die Arbeitslosen nicht berücksichtigt, sind Schlussfolgerungen über Armutsgefährdung problematisch.
  • Der Aufstieg in höhere Einkommensgruppen der sich aus der Auswertung ergibt, ist auch darauf zurückzuführen, dass 2000 BerufseinsteigerInnen mit niedrigen Gehältern erfasst werden, die 2011 bereits zehn Jahre Lohnsteigerungen aufweisen können.
  • In den zehn Jahren konnten 31,7% der betrachteten Personen in ein besseres Zehntel der Einkommenshierarchie aufsteigen. Dem stehen aber 40,4% AbsteigerInnen gegenüber und 27,9% die im gleichen Einkommenszehntel blieben. In sieben der acht Einkommenszehntel, die Bewegungen nach oben und unten aufweisen, überwiegt jene Gruppe, die absteigt.

Anzumerken ist dazu aber folgendes

Der Ansatz der Auswertungen keine Momentaufnahme zu machen, sondern mehrjährige Einkommensverläufe zu betrachten, ist vernünftig. Denn gesellschaftlich macht es einen Unterschied ob jene 12% der Bevölkerung die armutsgefährdet sind, lange in dieser Situation verbleiben, oder es bald schaffen, die Armutsgefährdung zu überwinden. Dasselbe gilt für prekäre Beschäftigung. Ist diese eine Sackgasse oder eine vorübergehende Lebenssituation?

Es kommt aber darauf an, die Daten seriös zu interpretieren und mitzudenken, wer in der Untersuchung nicht vorkommt. Wenn man all jene nicht in der Grundgesamtheit hat, die arbeitslos waren und nur die betrachtet, die sowohl 2010 als auch 2011 beschäftigt waren, ist das eine sehr starke Selektion. Konkret sind das eben nur 43% derer, die 2000 und 2011 unselbständig erwerbstätig gewesen sind. Dies macht es nicht möglich, Schlussfolgerungen für die Gesamtheit der unselbständig Erwerbstätigen zu ziehen. Im Gegenteil, es werden damit jene Gruppen nicht einbezogen, die ein hohes Risiko von Einkommensverlusten aufweisen.

Aber eines zeigt die mehrjährige Betrachtung schon: Dass das von der IV strapazierte Bild, wonach eine Minderheit von Leistungsträgern als NettozahlerInnen in das Sozialsystem den Rest der Bevölkerung durchfinanziert, falsch ist. Die IV betont laufend, dass 52% der ÖsterreicherInnen „erhalten“ werden, weil sie NettoempfängerInnen des Sozialsystems sind, während 48% NettozahlerInnen und damit „LeistungsträgerInnen“ sind.

In Wirklichkeit wechseln die meisten Menschen in ihrem Leben mehrmals zwischen der Gruppe der NettozahlerInnen und der NettoempfängerInnen. Jede und jeder profitiert davon, dass er/sie abgesichert ist wenn etwas passiert. Sei es, das man den Arbeitsplatz verliert, in Pension geht oder eine Krankheit hat. Auch SpitzenverdienerInnen wechseln einmal vom/von der NettozahlerIn zum/zur NettoempfängerIn wenn sie in Pension gehen oder eine aufwändige Operation benötigen.