Luftfahrt im Sturzflug – Lösungsansätze für eine Branche in der Krise

17. Juni 2020

Massive Einkommenseinbußen und Kurzarbeit bis 2022 für die rund 7.000 Austrian-Airlines-Beschäftigten und Staatshilfe in Höhe von 450 Millionen Euro, Gehaltsverhandlungen mit Laudamotion, gespickt mit Ultimaten und Drohungen auf Basis eines Einkommens von 850 Euro netto im Monat: Die vormals so stolze und mit Status versehene Luftfahrtbranche befindet sich im Sturzflug. Es braucht umfassendere Lösungsansätze für eine sozial und ökologisch nachhaltige Luftfahrt – neun davon könnten in Österreich umgesetzt werden.

Staatliche Rettungspakete und massive Einschnitte für die Beschäftigten

In Deutschland sind 87.000 Beschäftigte aufgrund des milliardenschweren staatlichen Rettungspakets für die schwer angeschlagene Lufthansa mit harten Einschnitten konfrontiert. In Österreich bringt das mit Staatshilfe in Höhe von 450 Millionen Euro verbundene Sparpaket den rund 7.000 AUA-MitarbeiterInnen einen massiven Einkommensverlust und Kurzarbeit bis 2022.

Krönung dieser Entwicklungen waren die Gehaltsverhandlungen mit Laudamotion, die von Ultimaten und Drohungen vonseiten der Geschäftsführung begleitet waren. Das Angebot von 850 Euro netto im Monat für – mit großer Verantwortung verbundene – Vollzeitarbeit und Schichtdienst wird wohl vielen als trauriger Höhepunkt in Erinnerung bleiben.

Abwärtsspirale von arbeits- und sozialrechtlichen Standards

Die vormals so stolze und für die ArbeitnehmerInnen mit Prestige verbundene Luftfahrtbranche befindet sich im Sturzflug. Wird jetzt nicht mit Blick auf eine sozial und ökologisch nachhaltige Zukunft gehandelt, droht den Luftfahrtbeschäftigten das Schicksal der Beschäftigten des Gütertransportes auf der Straße. Die vormals so stolzen Kapitäne der Straße sind zu FließbandarbeiterInnen mutiert – ein modernes Präkariat im grenzenlosen Europa. Arbeitsplätze, die ständig bedroht sind, von noch billiger fahrenden KollegInnen übernommen zu werden, die aus weiter im Osten liegenden, wirtschaftlich schlechtergestellten Ländern kommen. Der Nebeneffekt: Die Transportkosten auf der Straße sind aufgrund des Lohn- und Sozialdumpings so niedrig, dass der ökologischere Bahntransport am Markt kaum Chancen hat.

Was längst im Gütertransport auf der Straße trauriger Alltag ist, kommt nun auch in der Luftfahrtbranche an. Allen voran zeigt Ryanair, wie man wirtschaftliche Existenzängste von Beschäftigten instrumentalisiert, um eine Abwärtsspirale von arbeits- und sozialrechtlichen Standards in Gang zu setzen. MitarbeiterInnen der Ryanair-Tochter Laudamotion gingen auf die Straße, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen, auch um den Preis, künftig zu Gehältern unter dem Einkommen aus der Mindestsicherung zu arbeiten.

Beinhartes Preisdumping

Nicht erst seit der COVID-19-Pandemie und dem damit verbundenen Stillstand der Luftfahrtbranche ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Der beinharte Preiskampf der Billig-Airlines in den letzten Jahren mit Tickets, die günstiger sind als die Taxifahrt zum Flughafen, hat Fluglinien unter massiven Kostendruck gesetzt, wobei der Preiskampf immer stärker auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Innerstaatliche Lösungsansätze

Nachdem die Luftfahrt global agiert, bedarf es internationaler – wie auch innerhalb Europas europarechtlicher – Regelungen, die vergleichbare Rahmenbedingungen schaffen, um ein faires – sozial und ökologisch nachhaltiges – Wirtschaften zu gewährleisten. Dem unerträglichen Lohn- und Sozialdumping sowie den Steuerprivilegien der Luftfahrt muss sowohl auf internationaler wie auch auf EU-Ebene ein Ende bereitet werden.

Nichtsdestotrotz kann nicht allein auf – in der Regel langwierige – internationale oder europäische Maßnahmen gewartet werden. Um die Abwärtsspirale in der Luftfahrt aufzuhalten und diese sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten, kann und muss jetzt in Österreich begonnen werden. Veränderungen zugunsten der Beschäftigten und der Umwelt sind auch innerstaatlich möglich, wie die neun folgenden Lösungsansätze zeigen:

  • Branchen-Kollektivvertrag (KV)

Vordringlichste Maßnahme, um die stetige Nivellierung sozialer und arbeitsrechtlicher Standards aufzuhalten, ist der Abschluss eines Luftfahrt-Branchen-KV mit soliden Standards und akzeptablen Mindestlöhnen. Das Fehlen eines Branchen-Kollektivvertrages bedeutet für Unternehmen, die MitarbeiterInnen angemessen entlohnen und hohe Ansprüche an deren Qualifikation stellen, einen massiven Wettbewerbsnachteil. Ein Branchen-KV Luftfahrt gewährleistet, dass Fluggesellschaften mit Sitz in Österreich gleiche Bedingungen vorfinden und Lohn- und Sozialdumping vermieden wird. Wettbewerb sollte über Innovation und Effizienz und nicht auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen werden. 

  • Überarbeitung der Flughafenentgeltordnung

Es bedarf einer Evaluierung und Überarbeitung der Flughafenentgeltordnung, insbesondere im Hinblick auf die Anreize, die der Flughafen Wien gewährt. Es liegt die Vermutung nahe, dass der ruinöse Preiskampf am Flughafen Wien durch die Incentive-Politik des Flughafens mitausgelöst wurde. Dr. Susanne Heger schreibt in ihrem Gastkommentar im „Standard“: „Ausgelöst hat diesen ruinösen Preiskampf der Flughafen Wien selbst, indem er mit Fördergeldern und Gebührenbefreiungen aktiv Billig-Airlines anlockte, die ihre extrem niedrigen Ticketpreise überdies durch brutales Lohndumping und Steuervermeidung erzielen.“

Ein Indiz für diese Preispolitik ist, dass – bis zum Stillstand aufgrund der COVID-19-Pandemie – trotz ständig steigender Passagierzahlen die Umsätze des Flughafens Wien gegenüber dem Passagierwachstum deutlich zurückgeblieben sind.

Laut Susanne Heger ist der „Success Based Incentive“, der die Zahlung von Fördergeldern an die Airlines nach intransparenten Kriterien vorsieht, „jedenfalls nicht genehmigungsfähig – weil im Lichte des genannten EuGH-Urteils eklatant rechtswidrig“.

  • „Anti-Dumping-Gebühren“

Im Moment ist es Fluglinien kaum möglich, sich nicht an die Angebote der Billigflieger anzupassen, um nicht mit leeren Flugzeugen zu fliegen. Es ist daher dringend notwendig, Flugtickets kostendeckend anzubieten, um weiteres Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen. Die zuständige Ministerin Leonore Gewessler hat letzte Woche im Zusammenhang mit dem AUA-Rettungspaket angekündigt, dass Flugtickets mindestens so viel kosten sollen wie die Steuern und Abgaben für den Flug: im Schnitt 40 Euro. „Mit diesen Anti-Dumping-Regeln schiebt man ,gewissen Exzessen‘ und deren sozialen und ökologischen Folgen einen Riegel vor.“

40 Euro für ein Ticket sind jedoch in den meisten Fällen keinesfalls kostendeckend – schon gar nicht für Airlines, die ihre Beschäftigten fair entlohnen. Es ist daher notwendig, die tatsächlichen Kosten in die Flugticketpreise einfließen zu lassen. Die Abdeckung der Kosten könnte einerseits durch Mindestpreise bei Flugtickets angestrebt werden. In diesem Zusammenhang gibt es auch Überlegungen, die Flugabgabe bei Unterschreitung eines kostendeckenden Preises anzuheben. Die rechtliche Machbarkeit solcher Maßnahmen ist schnellstmöglich zu prüfen.

  • Lenkungseffekte mittels Flugabgabe

Im Regierungsprogramm wurden bereits erste Lenkungseffekte mittels Flugabgabe angekündigt. Mit einer einheitlichen Flugabgabe in Höhe von 12 Euro soll diese für Langstreckenflüge gesenkt und für Kurz- sowie Mittelstreckenverbindungen erhöht werden. Letzte Woche hat die zuständige Ministerin zudem bekannt gegeben, dass die Flugabgabe für Kurzstrecken unter 350 km im Zuge des AUA-Rettungspaketes auf 30 Euro hinaufgesetzt werden soll. Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um beispielsweise Bahnreisen im Vergleich zu Kurzstreckenflugreisen wettbewerbsfähiger zu machen. Auch trägt diese Maßnahme dazu bei, Billig-Airlines wie beispielsweise Ryanair zu erschweren, weiterhin Tickets um 10 Euro anzubieten. Die geplante Senkung der Flugabgabe bei Langstreckenflügen ist jedoch jedenfalls ökologisch ein falsches Signal.

  • Verpflichtende Vorgaben für bilaterale Luftverkehrsverträge

Das Grundsatzpapier Liberalisierung 2017 ist auf die neuen Marktbedingungen zu adaptieren. Es ist absolut nicht zielführend, dass Österreich zu sehr ungleichen Bedingungen bilaterale Luftverkehrsverträge mit Drittstaaten abschließt. Marktzugangsmöglichkeiten für Staaten bzw. Fluggesellschaften (z. B. Golfcarrier), die sich weigern, faire Wettbewerbsbestimmungen oder soziale Mindeststandards in Luftverkehrsabkommen zu akzeptieren, müssen beschränkt bzw. beendet werden. Völlig unterschiedliche Voraussetzungen – wie staatliche Subventionen, nicht vergleichbare Lohn- und Sozialstandards, Einkaufspreise von Kerosin und Umweltstandards etc. – führen zu Bedingungen, mit denen in Österreich ansässige Fluggesellschaften nicht konkurrieren können.

  • Ausbau und Stärkung der Kontrollinstanzen

Die besten Regeln helfen nicht, wenn deren Einhaltung nicht kontrolliert bzw. deren Missachtung im Anlassfall nicht sanktioniert wird. Aufgrund der Personalknappheit – beispielsweise des Arbeitsinspektorats – scheint der Luftfahrtbereich vor allem im Zusammenhang mit den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen keinesfalls ausreichend kontrolliert. Zudem erschweren Rechtsunsicherheiten aufgrund der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Fluggesellschaften ein gezieltes Vorgehen. Es bedarf daher auch eines verpflichtenden Informationsflusses beispielsweise zwischen Sozialversicherung und dem Bundesministerium für Klimaschutz über die Anzahl der in Österreich beschäftigten MitarbeiterInnen von Fluggesellschaften inklusive der Höhe deren Einkommens. In Österreich niedergelassene Unternehmen müssen auf die Einhaltung der österreichischen Gesetze zu kontrollieren sein und auch kontrolliert werden.

  • Gründung einer Task-Force Luftfahrt

Im Zusammenhang mit dem Ausbau und der Stärkung der Kontrollinstanzen wäre eine Task-Force Luftfahrt dringend nötig. Der Luftfahrtbereich ist selbst für ExpertInnen einzelner Rechtsgebiete, wie beispielsweise Arbeitsrecht oder Finanzrecht, aufgrund der grenzüberschreitenden und sehr komplexen Materie schwer zu fassen. Die bisherigen Gespräche zeigen, dass es einer Heranbildung von LuftfahrtexpertInnen in den einzelnen Ministerien bedarf, um abzusichern, dass einerseits maßgeschneiderte Lösungen gefunden werden und andererseits die Einhaltung dieser auch kontrolliert und bei Missachtung sanktioniert werden kann. Dies betrifft vor allem die Rechtsgebiete Arbeits- und Sozialrecht, ArbeitnehmerInnenschutz, Finanzrecht und insbesondere Steuerrecht.

  • Ausnahmen für Fluglinien in Doppelbesteuerungsabkommen

Es bedarf einer Ausnahme von Fluggesellschaften bei Doppelbesteuerungsabkommen. Die ungarische Wizz Air mit Sitz in Österreich führt, da günstiger, völlig legal ihre Lohnsteuern in der Schweiz ab. Dies ist aufgrund von bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen möglich. Die grundsätzliche Berechtigung solcher Abkommen ist für die Fluggesellschaftsbranche zu hinterfragen, da diese Unternehmen sehr leicht ihren Sitz – auch unabhängig von der tatsächlichen Homebase der MitarbeiterInnen – verlegen können und es auch tun. Österreich entgehen damit nicht unwesentliche Steuereinnahmen, die sich – wenn andere Fluggesellschaften dem Vorbild der Wizz Air folgen – noch deutlich erhöhen könnten.

  • Unternehmensbeteiligung im Gegenzug zur Vergabe von Staatshilfen

Es ist aus Sicht der österreichischen SteuerzahlerInnen absolut unerklärlich, warum – insbesondere mit dem nicht rückzahlbaren Zuschuss von 150 Mio. Euro an die AUA – dem deutschen Lufthansa-Konzern eine Leistung ohne Gegenleistung erbracht wird. Eine Staatsbeteiligung mit Stimmrecht wäre die logische Folge einer solchen Zahlung und ein adäquates Instrument gewesen, um österreichische Luftfahrtpolitikinteressen in die deutsche Konzernstrategie einfließen zu lassen, die sich positiv auf den Standort Österreich und deren Beschäftigte auswirkt. Mit diesem – von den österreichischen SteuerzahlerInnen finanzierten Geschenk – hat die österreichische Bundesregierung die Chance vertan, bei einer wirtschaftlichen Erholung des Unternehmens nach der Krise zu profitieren.

Luftfahrtgipfel als Chance

Die aufgezeigten Lösungsansätze machen ersichtlich, dass auch Maßnahmen auf nationaler Ebene dazu beitragen können, der Branche und ihren Beschäftigten in Österreich ein stabileres und zukunftsfähigeres Fundament zu gewährleisten, um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können. In diesem Sinne kann der Forderung des Vida-Vorsitzenden Roman Hebenstreit nach einem Luftfahrtgipfel, um die Rahmenbedingungen zur Standort- und Arbeitsplatzsicherung zu gestalten, nur beigepflichtet werden. Es ist jetzt die Möglichkeit und die Zeit gegeben, etwas zu verändern. Bündeln wir die Kräfte, um für eine sozial und ökologisch nachhaltigere Luftfahrt zu sorgen.

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