Kurzarbeit oder Kündigung? Der Betriebsrat macht den Unterschied

09. Juli 2021

Unternehmen haben unterschiedlich auf die Corona-Krise reagiert. Es lag in ihrer Hand, über Kündigungen, Kurzarbeit oder Lohnkürzungen zu entscheiden. Dabei zeigten sich bestimmte Muster, abhängig von Branchen und Unternehmensgröße. In Unternehmen mit Betriebsrat kam es stets seltener zu Kündigungen oder Lohnkürzungen.

Krise hat Ungleichheit am Arbeitsmarkt verstärkt

Im März 2020 verhandelten die Sozialpartner in Österreich ein generöses und umfangreiches Kurzarbeitsmodell. Dieses ermöglichte es Unternehmen, ihre Arbeitskräfte zu halten und so wieder schnell auf die notwendigen Fachkräfte zurückzugreifen. Allerdings zeigte sich, dass es große strukturelle Unterschiede bei der Inanspruchnahme von Kurzarbeitsregelungen gab: So konnten durch Kurzarbeit zwar rund 1,2 Mio. Arbeitsplätze gerettet werden, aber vor allem in Branchen mit einem hohen Anteil unstetiger, prekärer Beschäftigungsverhältnisse wurden viele Arbeitnehmer*innen gekündigt.

Es lag maßgeblich in der Hand der Unternehmen zu entscheiden, wer seinen Job verlor und wer Kurzarbeitsgeld bekam. Die einen mussten im besten Fall mit einem Arbeitslosengeld von in der Regel 55 Prozent des letzten Einkommens auskommen, die anderen bekamen demgegenüber in der Kurzarbeit zwischen 85 und 90 Prozent des letzten Einkommens.

Um sichtbar zu machen, wie unterschiedlich Unternehmen auf die Corona-Krise reagierten und welche Faktoren diese unterschiedlichen Reaktionen erklären können, führte das Marktforschungsinstitut „Market Agent“ eine Befragung im Auftrag der AK Wien durch.

Lockdown 2020: Kündigungen, Kurzarbeit, Lohnkürzungen

Die Mehrheit der Befragten gab an, in ihrem Betrieb wäre Kurzarbeit eingesetzt worden (55 Prozent), immerhin 10 Prozent berichteten aber auch von Kündigungen. Mehr als ein Zehntel gab weiters an, selbst während der Corona-Krise den Job verloren zu haben. Bei 60 Prozent der Befragten gab es in ihren Betrieben einen Betriebsrat, wobei die Zahlen stark zwischen den Branchen schwanken: Der höchste Wert von 74 Prozent wurde von Angestellten im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich berichtet, an letzter Stelle kamen die Befragten im Tourismus/Gastgewerbe mit nur 30 Prozent Betriebsratsabdeckung.

Vor allem im Tourismus/Gastgewerbe, aber auch in der Produktion und im Verkehr gab es verhältnismäßig viele wahrgenommene Kündigungen. Seltener wurden sie im Handel oder im Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich wahrgenommen. Beim Handel dürfte insbesondere der Einzel- und Onlinehandel für dieses Ergebnis ausschlaggebend sein, hier gab es kaum Arbeitsunterbrechungen. Auch der Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich war im Zuge der Corona-Krise insgesamt eher mit einem erhöhten statt eines niedrigen Beschäftigungsbedarfs konfrontiert.

Für den Tourismus und das Gastgewerbe ist die hohe Zahl an Kündigungen auch keineswegs verwunderlich: Dies sind generell Branchen mit hoher Arbeitnehmer*innen-Fluktuation. Kündigungen sind in dieser saisonabhängigen Branche auch üblicher als in anderen Branchen. Darüber hinaus waren der Tourismus und das Gastgewerbe von der Corona-Krise besonders stark betroffen. Kündigungen im Bereich Produktion sind vermutlich auf Leiharbeiter*innen zurückzuführen.

Lohnkürzungen haben Arbeitnehmer*innen weniger stark wahrgenommen als Kündigungen, weswegen es hier wenig valide empirische Ergebnisse gibt. Auf Kurzarbeitslösungen haben demgegenüber viele Branchen zurückgegriffen. Besonders hohe Werte verzeichnen hier die Produktion, der Verkehr, der Handel, der Bau und Tourismus/Gastgewerbe. Kurzarbeitsmodelle wurden im Gegensatz zu früheren Wirtschaftskrisen, wo sie v.a. in der Produktion Anwendung fanden, also im Zuge der Corona-Krise in vielen Branchen breit genützt.

Nicht nur die Branche, auch die Betriebsgröße hat bei der Entscheidung für Kurzarbeit oder Kündigungen eine zentrale Rolle gespielt. Kleinere und mittelgroße Betriebe mit 11 bis 50 Mitarbeiter*innen oder 51 bis 100 Mitarbeiter*innen setzten besonders stark auf Kurzarbeitslösungen. Ganz kleine (1 bis 10) und große Unternehmen (über 100) verzeichneten hier etwas geringere Werte. Insbesondere bei ganz kleinen Firmen wurde demgegenüber eher auf Kündigungen zurückgegriffen. Auch während der letzten großen Wirtschaftskrise von 2009ff. wurde das Kurzarbeitsmodell in Österreich stärker von großen Unternehmen in Anspruch genommen.

Demokratische Mitbestimmung: Betriebsrat macht den Unterschied

Besonders spannend ist die Frage, wie sehr die Entscheidung von Arbeitgeber*innen, auf Kurzarbeitslösungen auf der einen Seite oder auf Kündigungen/Lohnkürzungen auf der anderen Seite zurückzugreifen, mit Formen der betrieblichen Mitbestimmung zusammenhängt: Konnten Betriebsräte Kündigungen eher abwenden und Kurzarbeitslösungen verhandeln?

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Daten zeigen, dass insbesondere im Tourismus und Gastgewerbe sowie im Verkehrsbereich ein Betriebsrat nach Ansicht der Beschäftigten einen großen, positiven Unterschied in Hinblick auf Kurzarbeitslösungen machte: So kam es im Tourismus/Gastgewerbe in Firmen mit Betriebsrat zu mehr Kurzarbeitslösungen (87 Prozent) als in Firmen ohne Betriebsrat (75 Prozent). Im Verkehr lagen die Unterschiede bei 83 Prozent (Kurzarbeit, wenn Betriebsrat vorhanden) zu 66 Prozent (Kurzarbeit, wenn kein Betriebsrat vorhanden). Auch in der Produktion ist der wahrgenommene positive Unterschied, den ein Betriebsrat macht, (etwas kleiner, aber dennoch) vorhanden (75 Prozent zu 71 Prozent). Nur im Handel dreht sich der Zusammenhang um: Hier geben Beschäftigte in Betrieben ohne Betriebsrat eher an, dass es zu Kurzarbeitslösungen gekommen ist (75 Prozent), als in Betrieben mit Betriebsrat (54 Prozent). In den anderen Branchen sind die Unterschiede nicht signifikant.

Fazit: Demokratische Mitbestimmung in der Wirtschaft mindert Ungleichheit

Die Corona-Krise hat zu starken sozialen Verwerfungen am Arbeitsmarkt geführt, bestehende Ungleichheiten wurden weiter vertieft. Insbesondere die Entscheidung über Kurzarbeitslösungen oder Kündigungen hat die bestehenden Ungleichheiten zwischen Arbeitnehmer*innengruppen in verschiedenen Branchen und Betrieben weiter vertieft. Die Daten weisen einerseits auf bestehende Probleme hin, wie z. B. unterschiedliche Struktur und Krisenanfälligkeit der Branchen und Unternehmen. Andererseits zeigen sie aber auch, welch wichtige Rolle institutionelle Akteure in diesem Zusammenhang spielen: So konnte in Betrieben mit Betriebsrat signifikant häufiger eine Lösung zugunsten der Beschäftigten gefunden werden. Formen demokratischer Mitbestimmung federn soziale Ungleichheiten am Arbeitsplatz also ab.

Studien zufolge sind in Österreich rund 57 Prozent der Arbeitnehmer*innen in einem Betrieb mit Betriebsrat tätig, allerdings gibt es auch hier enorme Unterschiede nach Betriebsgröße und Branche: So kann die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Sektor, aber nur 19 Prozent der Beschäftigten in der Beherbergung/Gastronomie bzw. 40 Prozent im Handel auf einen Betriebsrat zurückgreifen. Wie die Bewältigung der Corona-Krise zeigt, sollten Formen der betrieblichen Mitbestimmung allerdings aus- und nicht abgebaut werden.

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