Inflation: Über Missverständnisse bei Lohnverhandlungen

15. November 2019

Im Vorfeld der Lohnverhandlungen lancierte die UnternehmerInnenseite, dass die Jahresinflation (= jährliche Preissteigerung) dieses Mal nicht voll berücksichtigt werden könne, da diese von den Tourismus- und Beherbergungsbetrieben getrieben sei und dadurch InländerInnen nur bedingt belastet wären. Die volle Abgeltung der Inflation bei den Lohnverhandlungen sei daher nicht notwendig. Diese Aussage deutet auf einige Missverständnisse hin. Tatsache ist, dass die nationale Inflationsmessung sämtliche Preissteigerungen für die österreichische Bevölkerung (nach dem Konzept „InländerInnen im Inland“) vollständig berücksichtigt. Das gilt damit auch für alle ArbeitnehmerInnen.

Warenkörbe und Preise zur Messung der Inflation

Unter Inflation versteht man eine allgemeine und andauernde Erhöhung des Preisniveaus. Gemessen wird dieses Preisniveau von der Statistik Austria. Das Ergebnis dieser Messung – nämlich der Verbraucherpreisindex (VPI) – wird anschließend veröffentlicht. Die Preiserhebungen basieren auf einem aus circa 770 Positionen bestehenden Warenkorb (Waren und Dienstleistungen). Er repräsentiert das durchschnittliche Einkaufsverhalten von VerbraucherInnen in Österreich.

Die Zusammensetzung dieses Warenkorbes ergibt sich aus der alle fünf Jahre stattfindenden Konsumerhebung. Für die letzte Konsumerhebung wurden etwa 7.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte über ihre getätigten Konsumausgaben ein Jahr lang befragt. Daraus lässt sich der Warenkorb ableiten. Die Preise der einzelnen Warenkorbpositionen werden Monat für Monat beobachtet. Daraus abgeleitete Preisunterschiede ergeben über das Jahr gerechnet die Inflationsrate.

Warum verwendet man den Durchschnitt?

Der Durchschnitt hat immer eine beschränkte Aussagekraft. Am einfachsten erklärt man das anhand eines Beispiels: Wenn eine Person eine Million besitzt und eine zweite gar nichts, dann haben sie durchschnittlich jeweils eine halbe Million. Die individuelle Situation beider Personen bleibt trotzdem höchst unterschiedlich. Bei der Interpretation des Durchschnitts ist also Vorsicht geboten.

Unterschiedliche Haushalte sind von der Inflation unterschiedlich stark betroffen. Besonders deutlich zeigen das die Ausgaben fürs Wohnen. Sie sind bei Haushalten mit niedrigem Einkommen (im Durchschnitt) deutlich höher als etwa bei Haushalten mit hohem Einkommen. Steigen die Preise fürs Wohnen besonders stark, so wirkt sich das auf die individuelle Inflationsrate einzelner Haushalte unterschiedlich aus. Bei einem Haushalt mit sehr niedrigem Einkommen und hohen Wohnkosten ist die Inflation höher als die durchschnittliche Inflation aller Haushalte. Setzt man diese Gedanken fort, so gibt es theoretisch insgesamt 3,8 Mio. Inflationsraten, genauso viele wie es österreichische Haushalte gibt. Mittlerweile bietet die Statistik Austria sogar die Möglichkeit an, die persönliche Inflationsrate selbst zu berechnen.

Für viele wirtschaftspolitische Handlungen, wie etwa bei Lohnverhandlungen, ist der Durchschnitt jedoch die einzig sinnvolle Betrachtungsweise, da dieser am besten das Kollektiv aller ArbeitnehmerInnen abbildet. Die Berücksichtigung der offiziellen Inflationsrate trägt genau diesem Umstand Rechnung. Alles andere käme einem Reallohnverlust gleich. Dies trifft im Übrigen auch auf die jährliche Pensionsanpassung zu.

Reist du schon, oder wohnst du nur?

Die Behauptung der Unternehmensseite, dass die Inflation durch die Tourismus- und Beherbergungsbetriebe getrieben sei und daher die InländerInnen nur bedingt belaste, ist falsch.

Denn die Preissteigerungen im Tourismus sind in der Inflationsrate enthalten und betreffen aktuell 12,2 Prozent der Gesamtausgaben eines durchschnittlichen Haushalts in Österreich. Ausgaben von ausländischen Gästen in Österreich werden bei der Messung der österreichischen Inflationsrate gar nicht berücksichtigt. Sie finden Eingang in den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), der für europäische Vergleiche herangezogen wird. Für die Lohnverhandlungen wird aber der VPI und eben nicht der HVPI verwendet.

Selbst wenn Personen eines bestimmten Haushalts nie Urlaub machen oder in ein Gasthaus einkehren, sind sie von den Preissteigerungen der Tourismusbranche indirekt betroffen, denn Miet-, Pacht- und Versicherungsverträge werden jährlich anhand des VPI wertangepasst. Daher wirken sich die in der Inflationsrate enthaltenen Tourismusausgaben auch auf oben genannte Valorisierungen aus, unabhängig vom eigenen Konsumverhalten.

Ausgaben der österreichischen Bevölkerung im Inland © A&W Blog
© A&W Blog

Fazit

Der Verbraucherpreisindex unterliegt dem Konzept „InländerInnen im Inland“. Er misst somit die Ausgaben eines durchschnittlichen Haushalts, der in Österreich aktuell 12,2 Prozent für Restaurants und Hotels ausgibt. Auch wenn es individuell abweichende Konsummuster gibt, ist es für viele wirtschaftspolitische Aktivitäten sinnvoll, den VPI als Maßstab heranzuziehen. Daher ist es absolut notwendig, im Zuge der Lohnverhandlungen sämtliche Preissteigerungen vollständig zu berücksichtigen, um Kaufkraftverluste für ArbeitnehmerInnen zu verhindern. Neben dem Kaufkrafterhalt muss eine solidarische Lohnpolitik („Benya-Formel“) auch darauf abzielen, ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnen an den Produktivitätszuwächsen teilhaben zu lassen.