Hebammen in Österreich: Berufs- und Handlungsfelder

29. September 2021

Jede Geburt ist einzigartig – und Schwerstarbeit, sowohl für Mutter und Kind als auch für die Hebammen. Sie begleiten und betreuen schwangere Frauen, deren Partner/-innen sowie die Neugeborenen von der Geburtsvorbereitung bis zur Nachsorge und ermöglichen einen guten Start ins Leben. Hebamme zu sein wird von den Berufsangehörigen als schöner und sinnstiftender Beruf beschrieben. Gleichzeitig liegt aber auch der Beruf in den Geburtswehen. Österreichweit sind derzeit zu wenige Hebammen verfügbar, die Arbeitsbelastungen steigen und die Aufgaben werden mehr. Evidenzbasierte Arbeitsbewertungen und Personalberechnungsinstrumente sind kaum vorhanden. Es braucht daher echte und rasche Reformschritte – das Gesundheitsministerium und die Länder sind gefordert.

Arbeit einer Hebamme ist mehr als Geburtsbegleitung

Hebammen werden in einem Spezialgebiet ausgebildet. Dies ermöglicht einen ganzheitlichen und umfassenden Überblick über das Thema Frauengesundheit und Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett sowie Neugeborene und Säuglinge. Eine Hebamme ist daher nicht nur für ein Teilgebiet, sondern für alle Arbeiten rund um die Geburt einsetzbar. Derzeit arbeiten Hebammen – auch, weil es zu wenige Hebammen gibt – in Krankenhäusern hauptsächlich im Kreißzimmer. Da Hebammen auch laut Gesetz eine Geburt eigenständig und eigenverantwortlich betreuen dürfen, können und dürfen sie dort die komplette Betreuung der Frau während einer Geburt ohne Beiziehung einer Ärztin/eines Arztes übernehmen.

Wie werde ich Hebamme?

Die Ausbildung von Hebammen erfolgt in Österreich seit 2006 im Rahmen eines dreijährigen Bachelor-Studiums an einer von derzeit sieben Fachhochschulen. Die meisten dieser FHs bieten pro Jahrgang 20 bis 25 Studienplätze an, FH Campus Wien bietet 30 Plätze und FH Gesundheitsberufe Oberösterreich 64 Plätze (Stand 2019). Die Ausbildungskapazität wurde in den letzten Jahren gesteigert, aber es starten noch immer nicht alle FHs jedes Jahr einen Kurs. Es gäbe zwar ausreichend Bewerbungen um die Ausbildung – im Schnitt kommen auf jeden Ausbildungsplatz rund zehn Bewerbungen, wie eine IHS-Studie (gefördert durch die Landesgeschäftsstelle Wien – Österreichisches Hebammengremium) ausweist. Der Engpass ist vielmehr, dass auch genügend Praktikumsplätze für die praktische Ausbildung gewährleistet sein müssen.

Hebammen in Österreich – Zahlen und Entwicklungen

Im Jahr 2019 praktizierten in Österreich 2.451 Hebammen, das entspricht rund 28 Hebammen je 1.000 Lebendgeburten. Bis auf einzelne Ausnahmen arbeiten in Österreich ausschließlich Frauen. Im internationalen Vergleich liegt Österreich bei der Zahl der Hebammen deutlich zurück: Im Durchschnitt derjenigen europäischen Länder, für die die OECD Daten ausweist, stehen je 1.000 Lebendgeburten 37 Hebammen zur Verfügung.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Anzahl der praktizierenden Hebammen in Österreich ist über die letzten Jahre zwar gestiegen. Diese Entwicklung schlägt sich aber nur zum Teil in der Versorgungssituation nieder, unter anderem weil sich diese Zahlen auf Personen (Köpfe) beziehen, nicht auf Vollzeitäquivalente (Umrechnung der Hebammen auf Vollzeitstunden). Ein Grund ist die steigende Teilzeitquote bei Hebammen. Für Hebammen, die in Krankenhäusern in der sogenannten Versorgungszone Ost arbeiten (Wien, Niederösterreich, Nord- und Mittelburgenland) weist die Studie des IHS aus, wie stark das Ausmaß der Teilzeittätigkeit in den letzten zehn Jahren zugenommen hat: Konkret sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 32 Stunden (2009) auf 29 Stunden (2018). In Wien ist diese Entwicklung am ausgeprägtesten. Außerdem weist die Studie auf die Altersverteilung der Hebammen hin: Bei Hebammen mit Krankenhausanstellung sind die Altersgruppen Anfang dreißig und Anfang fünfzig am stärksten vertreten. Im Durchschnitt sind Frauen bei der Geburt des ersten Kindes mittlerweile 30 Jahre alt, diese Entwicklung zeigt sich auch bei den Hebammen. Auch hier finden wir aufgrund des hohen Frauenanteils und der in Österreich immer noch klassischen Rollenverteilung häufige Berufsunterbrechungen bei Hebammen, oft kombiniert mit späteren Teilzeitanstellungen. Teilzeit bei Hebammen wird also in der nächsten Zeit voraussichtlich Thema bleiben oder sich sogar verstärken.

Verbindliche Personalberechnungen – leider nein

Mehr Zeit für die Arbeit der Hebammen ist eine Grundvoraussetzung für die Sicherung von Gesundheit von Mutter und Kind, letztendlich aber auch für die Gesundheit der Hebammen. Die Aufgaben und Anforderungen an Hebammen haben sich stark verändert, Personalberechnungsmethoden nehmen bis heute aber viel zu wenig Rücksicht darauf. Bis heute gibt es in Österreich keine verbindlichen Vorgaben für die Personalberechnung. Seit 2018 empfiehlt die WHO eine 1:1-Begleitung während der Geburt. Auch deutsche Hebammen schließen sich dieser Forderung an. Von einem solchen Standard ist Österreich derzeit weit entfernt. Schilderungen aus der Praxis zeigen, dass eine Hebamme manchmal zwischen drei und fünf Geburten gleichzeitig betreuen muss. Zudem kommt, dass sich Geburten nur schwer planen lassen und selten an Vorgaben im Dienstplan halten. Steigende Anforderungen, Zusatzbelastungen – nicht zuletzt durch COVID-19 – bei sich wenig verändernden Personalbesetzungen erschweren die Arbeit der Hebammen im Krankenhaus. Hebammen reduzieren teils Stunden, um die Arbeitsanforderungen zu bewältigen bzw. auch Ausgleich in der Freiberuflichkeit zu finden. Hier stoßen sie dann an neue Grenzen, wie z. B. leistungsgerechte Abrechnung. Eine faire Entlohnung ihrer Arbeit erwarten sich alle Hebammen, auch im Krankenhaus wird aus Sicht mancher Hebamme die Arbeit finanziell noch zu wenig wertgeschätzt.

Wie viele Hebammen brauchen wir in Österreich?

Hebammen finden ihr Einsatzgebiet in vielen Bereichen. Einsatzgebiete sind im Hebammengesetz definiert. Hebammen arbeiten neben der Arbeit im Kreißzimmer in vielen anderen Bereichen, wie z. B. in der Betreuung, Beratung und Pflege der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, der Mitwirkung bei der Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge. Die Tätigkeit findet dabei in einem Angestelltenverhältnis, wie z. B. Krankenhaus, Arztpraxis, Primärversorgungszentrum, oder auch freiberuflich in einer eigenen Hebammenordination statt. Wie viele Hebammen in Zukunft in Österreich für eine gute Versorgung von Mutter und Kind benötigt werden, wurde bis dato noch nicht erhoben. Als Beispiel für eine Prognoserechnung, wie viele Hebammen es braucht, wird die Versorgungszone Ost beschrieben.

Für die Versorgungszone Ost wurde im Februar 2020 durch das IHS eine Prognoserechnung veröffentlicht, die die erwähnten Entwicklungen mit der zukünftig erwartbaren Anzahl von Hebammen sowie der Nachfrage entsprechend vorliegenden Geburtenprognosen verbindet (Gap-Analyse). Als Messlatte wurde dabei die aktuelle Versorgungssituation mit 952 berufsberechtigten Hebammen zum Stichtag im Jahr 2019 herangezogen. Da die weitere Entwicklung der Teilzeittätigkeit schwer zu prognostizieren ist, wurden Berechnungen mit unterschiedlichen Annahmen hierzu durchgeführt. Die Berechnungen zeigen, dass nur bei konstant bleibender Teilzeitquote der Hebammen die Nachfrage im Jahr 2030 in etwa gedeckt werden kann. Sollte sich der Trend zu mehr Teilzeit in gleichem Maße wie in den vergangenen Jahren fortsetzen, beträgt – gemessen an der aktuellen Versorgungslage – die Lücke 120 Hebammen in der Versorgungszone Ost, schwächt sich der Trend auf die Hälfte ab, beträgt die Lücke rund 50 Hebammen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Fazit

Das Berufsbild und die Einsatzmöglichkeiten für Hebammen sind vielfältig. Viele vor allem jüngere Frauen wollen diesen Beruf ergreifen, scheitern aber an zu wenigen Ausbildungsplätzen und warten oft Jahre auf einen Studienplatz. Dabei ist der Bedarf an neuen Kollegen/-innen groß. Die Aufgaben steigen in allen Bereichen, und es braucht professionelle Hebammen, damit die Sicherheit von Mutter und Kind, aber auch die Arbeitsqualität der Hebammen weiterhin gewährleistet werden kann. Neben den laufenden Diskussionen zur Attraktivierung der Pflege braucht es auch für Hebammen evidenzbasierte Personalbemessungsinstrumente, die die heutigen Aufgaben abbilden, eine bessere Berücksichtigung in den Dienstpostenplänen, mehr Studienplätze inklusive Praktikumsmöglichkeiten und eine Hebammenprognose für ganz Österreich. Gefordert sind die Länder im Bereich des Ausbaus der Ausbildungskapazitäten an den Fachhochschulen, aber auch das Gesundheitsministerium und die Länder, wenn es um Grundlagen für zeitgemäße und verbindliche Personalbemessungsstrukturen geht. Eine Prognose, wie viele Hebammen es in Österreich braucht, muss sowohl im Interesse der ÖGK, des Gesundheitsministeriums und der Länder sein – und nicht zuletzt im Interesse der jungen Familien.

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