Handelsabkommen TTIP: Disput um europäische Standards

16. Dezember 2015

EU-KommissarInnen leisten mitunter kuriose „Überzeugungsarbeit“ für TTIP & Co in Wien: So versprach Gesundheitskommissar Andriukaitis vor kurzem einen Exportboom von österreichischen Eiern durch TTIP. Auch Handelskommissarin  Malmström wirbt massiv für die viel kritisierten Handelsabkommen. Die hohen europäischen Standards sollen auch mit TTIP und CETA weiterhin aufrecht bleiben. Doch Anpassungen seitens der EU finden schon im Vorfeld der Handels- und Investitionsabkommen statt.

So hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit das von vielen WissenschafterInnen äußerst umstrittene Herbizid Glyphosat dieser Tage als „wahrscheinlich unbedenklich“ eingestuft. Die Europäische Kommission scheint entschlossen, die Handelsabkommen auf Biegen und Brechen durchzusetzen.

Das österreichische Ei als Exportschlager in die USA

Der Terminkalender von EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis war bei seinem Wien-Besuch im Oktober randvoll. Insbesondere Gespräche zu TTIP standen auf seiner Agenda ganz weit oben. Kein Wunder, denn das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA wird in Österreich klar abgelehnt. Daher war ein Gespräch mit österreichischen Stakeholdern Pflicht. Seine Promotion-Tour für TTIP konzentrierte sich auf die Notwendigkeit von mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Europa. TTIP könnte laut Andriukaitis dazu wesentlich beitragen. Das Russland-Embargo habe der Schweine- und Milchwirtschaft arg zugesetzt, das koste auch viele Arbeitsplätze. Da kämen den österreichischen Landwirten gute Exportchancen für Eier in die USA gerade recht. Auch Österreich sollte daher die Chancen für das fragile Exportgut in den Überseehoffnungsmarkt nützen. Voraussetzung ist freilich, dass die EU-Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und auch die nationalen Parlamente dem Freihandelsabkommen der EU mit den USA zustimmen.

 Gentechnisch manipulierte Produkte

Die amerikanische? Gentechnik-Lobby klagt, dass die Zulassungen in der EU den freien Handel mit Gentechnik in Lebens- und Futtermitteln blockieren würden. Das verstärkt den Druck auf die EU bei den TTIP-Verhandlungen ihren Markt für mehr Gentechnik zu öffnen, den Zulassungsprozess zu beschleunigen und die Risikobewertungen zu lockern. Zudem ist die Verankerung des Vorsorgeprinzips nach EU-Recht nicht gesichert. Dieses ermöglicht es, kritische Substanzen bei Bedenken nicht zuzulassen,.

Der Schutz der Bevölkerung in der EU vor Gentechnik fällt ganz klar in den Kompetenzbereich des Gesundheitskommissars. Doch dieser leugnet den Zusammenhang zwischen TTIP bzw CETA und Gentechnik. Sein ausführliches Statement ließ bei dem Stakeholder-Treffen für eine wirkliche Diskussion kaum Zeit. Als die Vertreterin von Global 2000 den Einsatz gentechnisch veränderter Produkte (GVO) kritisierte, beendete der Kommissar die Diskussion barsch. Es gebe keinerlei Beweise für die Schädlichkeit von GVO. Hinter den Kulissen arbeitet die EU-Kommission bereits an der Aufweichung der Standards in der EU, schließlich müsse man den USA auch entgegenkommen.

EU-Lebensmittelbehörde: Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend“

Erst kürzlich aktualisierte die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde, EFSA, das toxikologische Profil von Glyphosat als „wahrscheinlich nicht karzinogen“. Dabei hatte die WHO erst zu Jahresbeginn ihre Bewertung des Unkrautvernichtungsmittels als „wahrscheinlich karzinogen“ eingestuft. Warum kommt die EFSA zum gegenteiligen Schluss?

Auch dahinter stehen Konzerninteressen. Die Lizenzen für dieses von vielen WissenschafterInnen als äußerst gefährlich eingestufte Herbizid laufen im Dezember aus. US-Konzerne wie Monsanto haben ein großes Interesse an einer Verlängerung durch die Kommission. Glyphosat wird unter anderem in Argentinien in der Landwirtschaft Hand in Hand mit GVO-Saatgut fast flächendeckend eingesetzt. Seit einiger Zeit werden die dort auftretenden gesundheitlichen Schädigungen von Menschen, die mit Glyphosat in Kontakt geraten, und Missbildungen bei Neugeborenen wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse zeigen Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft und der Schädigung der Erbsubstanz von Tieren und Menschen. Glyphosat findet aber auch in Europa neben der Landwirtschaft zunehmend Anwendung:es ist in Baumärkten erhältlich und kann so in jedem Kleingarten zum Einsatz kommen.

Regulatory chill: die EU vermeidet bereits vor TTIP erforderliche Regulierungen

Die EU zeigt immer wieder, dass sie bereit ist Vorleistungen für TTIP zu erbringen: Vom Verzicht auf die Kennzeichnung von Fleisch der Nachfahren geklonter Tiere über die Erhöhung der höchstzulässigen GVO-Verunreinigung in Futtermitteln bis zur aktuellen amtlichen Verharmlosung von Glyphosat. Die EU-Kommission wird also ihre BürgerInnen nicht vor dem Herbizid schützen. Sie könnte den Einsatz von Glyphosat zumindest einschränken oder gar verbieten. Stattdessen wird sie vermutlich die Lizenz für Glyphosat verlängern. Diese Unterlassung von erforderlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen wird auch als Regulatory chill bezeichnet. So wird bereits vor Inkrafttreten von TTIP von Regulierungen im Sinne des Gesundheit- und Umweltschutzes Abstand genommen. Kritik daran seitens unserer Regierung ist nicht zu erwarten.

Ist Malmström die Meinung der EU-Bevölkerung egal?

Um die ÖsterreicherInnen doch noch von TTIP-Abkommen zu überzeugen, hat sich auch EU-Handelskommissarin Malmström erneut für Gespräche im Februar angekündigt. Hoffentlich mit besseren Argumenten als ihr Amtskollege aus dem Gesundheitsressort. Während der Gesundheitskommissar in Österreich mit seinem Auftritt zum Thema TTIP der Kommission bestenfalls ein Ei gelegt hat, kündigt sich mit der für Handel federführenden EU-Kommissarin Malmström ein anderes Kaliber zu Gesprächen in Wien an. Ein offenes Ohr für Kritik ist von ihr allerdings auch nicht zu erwarten. Denn was sie vom Widerstand in der Bevölkerung gegen TTIP & CETA und TiSA hält, hat sie erst vor wenigen Wochen kundgetan: Darauf angesprochen, wie sie ihre TTIP-Werbung angesichts der verbreiteten und anhaltenden Widerstände gegen das Handelsabkommen fortsetzen werde, antwortete diese: “I do not take my mandate from the European people.” Ein Grund mehr, den Widerstand gegen TTIP, CETA und Co anhaltend zu stärken.

Weitere Informationen zu den Handelsabkommen TTIP und CETA finden sich auch in einem Paper von Éva Dessewffy, welches sie anlässlich des diesjährigen Momentum-Kongresses verfasst hat: TTIP und CETA: die geplante Regulierungskooperation