Woran der Kampf gegen grenzüberschreitendes Lohndumping scheitert

08. November 2018

Funktioniert der Kampf gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping und wie viele von den beantragten Strafen können eingebracht werden? Aktualisierte Daten der grenznahen Bezirkshauptmannschaft (BH) Neusiedl am See geben eine Antwort: nein und nur wenige! Probleme gibt es auf mehreren Ebenen, sagen die ExpertInnen der BH. Unter anderem wegen „systematischer Verweigerung von Rechtshilfe durch die ausländischen Behörden“.

Österreich liegt insbesondere im Osten an einer „Wohlstandskante“ zu den osteuropäischen Staaten mit Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien als direkten Nachbarn. Das Lohnniveau dieser Staaten liegt bei 31 bis 53 % und hat sich seit der Finanzkrise kaum mehr an das österreichische angeglichen – ein Umstand, der Lohn- und Sozialdumping begünstigt. Etwa in der Mitte des beschriebenen Grenzverlaufs liegt der burgenländische Bezirk Neusiedl am See.

Bereits 2016 gaben die Daten der BH Neusiedl Anlass für einen politischen und medialen Aufschrei: Politik und Sozialpartner hatten Missstände beim Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping aufgezeigt. Von rund einer Million Euro an beantragten Strafen konnten – so die damalige Momentaufnahme – nur rund 2.000 Euro eingehoben werden. Das war Anlass für LandespolitikerInnen sowie AK und WK, strengere Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping einzufordern.

Sowohl AK als auch WK haben Lohn- und Sozialdumping als Gefahr für ihre Mitglieder – ArbeitnehmerInnen wie Unternehmen – erkannt. Die dadurch erzeugbaren Dumpingpreise schaden demnach jenen Unternehmen, die sich an die gesetzlichen Vorgaben halten, und deren ArbeitnehmerInnen. Wie Zahlen der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) nahelegen, betreiben vor allem „hereinarbeitende“ Unternehmen aus dem Ausland Lohn- und Sozialdumping: Bei weniger als 0,95 % der kontrollierten inländischen Unternehmen am Bau konnten Verdachtsfälle festgestellt werden, jedoch bei 44,5 % der ausländischen Unternehmen. Das bestätigen auch die Daten der BH Neusiedl für 2017: Lediglich sechs von 86 Beschuldigten sind österreichische StaatsbürgerInnen (sieben Prozent, Anteil sinkend). Der Rest sind vor allem SlowakInnen (52 %, Anteil deutlich gestiegen), UngarInnen (23 %, Anteil deutlich gesunken) oder ItalienerInnen (13 %, Anteil deutlich gestiegen).

Strafen können oft nicht eingehoben werden

Die aktualisierten Daten der BH Neusiedl zeigen nun, dass die Missstände nicht behoben wurden: Von den 94 Verwaltungsstrafverfahren, die 2017 abgeschlossen wurden, konnte nur in 18 Fällen die verhängte Strafe zur Gänze eingehoben werden (50.954,55 Euro). In 25 der abgeschlossenen Verfahren gab es einen offenen Strafbetrag von insgesamt 232.490,92 Euro. Diese Summe ist laut den ExpertInnen der BH „mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vollstreckbar“. 51 dieser Verfahren wurden wiederum eingestellt. Vor dem Hintergrund dieser Daten ist damit zu rechnen, dass auch von den 2017 an Strafbeträgen bei der BH beantragten 488.825,00 Euro ein großer Teil niemals eingehoben wird.

Was sind die wesentlichen Gründe, warum Verfahren eingestellt werden oder Strafen im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping nicht eingehoben werden?

Ausländische Behörden verweigern „systematisch“ die Zusammenarbeit

Das Stellen von Rechtshilfeersuchen an ausländische Behörden habe in den meisten Strafverfahren mit ausländischen Beschuldigten keine Aussicht auf Erfolg. Es sei entweder unmöglich, die sachlich und regional zuständige ausländische Behörde zu identifizieren oder es werde von den ausländischen Behörden auch die Übersetzung des Rechtshilfeersuchens (inkl. Begründung) in die jeweilige Landessprache verlangt – in vielen Fällen entsteht dadurch ein unverhältnismäßig hoher Aufwand. Und die Übertretungen von Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG), des LSD-BG und des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) würden in den jeweiligen Staaten keine vergleichbaren Verwaltungsübertretungen darstellen.

Daher folgert die BH Neusiedl: „Das Stellen von Rechtshilfeersuchen an die ausländischen Behörden hat in den meisten Strafverfahren mit ausländischen Beschuldigten keine Aussicht auf Erfolg. Wegen systematischer Verweigerung von Rechtshilfe durch die ausländischen Behörden hat die Stellung von Zustellersuchen ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg. 37 % der im Jahr 2017 eingestellten Strafverfahren (19 Verfahren) wurden aufgrund der Unmöglichkeit der Strafverfolgung eingestellt.“

Darüber hinaus haben die Kontrollbehörden zu geringe Informationen über ausländische Firmen und keine ausreichenden Möglichkeiten, in ausländische Firmenregister Einsicht zu nehmen, so der Bericht. Dadurch komme es dazu, dass fallweise falsche Beschuldigte angeführt und die Verfahren in der Folge eingestellt würden.

Verjährungsfristen zu kurz

Insbesondere bei Anzeigen der GKK und der BUAK würden laut dem Bericht der BH oftmals lange Vorlaufzeiten aufgrund zu später Anzeigenlegung entstehen. „Dadurch kann eine erste Verfolgungshandlung vor Ablauf der Verfolgungsverjährung nicht gesetzt werden“, so die BH. Man kann vermuten, dass ein Grund dafür ist, dass Informationen aus dem Ausland für die Kontrollbehörden – wenn überhaupt – oftmals nur mit zeitlicher Verzögerung zu bekommen sind.

Sicherheitsleistungen müssen frühzeitig zurückgegeben werden

Lediglich in 9,7 % der Fälle wurden 2017 Sicherheitsleistungen, also Beschlagnahmungen von Arbeitsmitteln, in Höhe von insgesamt 104.625,00 Euro von der BH vorgeschrieben. Das sei eine sehr geringe Zahl, so die ExpertInnen. Problematisch sei zudem, dass die Sicherheitsleistungen in der Regel nach einem Jahr an den Erbringer zurückgegeben werden müssen – bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von bis zu zwei Jahren sei es nicht möglich, innerhalb dieser Jahresfrist ein entsprechendes Verwaltungsverfahren abzuschließen.

Zu den erheblichen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Verwaltungsstrafverfahren kommt, dass die Zahl der Anzeigen in Bezug auf das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) im Bezirk Neusiedl am See in den letzten Jahren rückläufig war. So ist diese gegenüber 2016 um 36,7 % zurückgegangen, nachdem auch schon im Jahr 2016 um 19 % weniger Fälle gegenüber dem Vorjahr angezeigt wurden. Für den Rückgang an Anzeigen nennt die Finanzpolizei mehrere Gründe gegenüber der BH. Einer davon ist, dass der Kontrollschwerpunkt des Jahres 2017 auf dem Glücksspielgesetz gelegen habe.

Ein weiteres Problem ist, dass sich Unternehmen zunehmend der Kontrolle entziehen und die Strafe für diese Vereitelung der Kontrollen in der Regel geringer ist als bei einer Feststellung von Lohndumping.

Fazit: Bund und EU in der Pflicht

Man stelle sich vor, ein großer Anteil der verhängten Verkehrsstrafen würde nicht eingehoben werden können. Das würde zweifellos als Freifahrtschein für RaserInnen ausgelegt werden. Ähnliches ist im Fall der nicht einbringbaren Strafen gegen Lohndiebstahl und Sozialbetrug zu beobachten. Seit Jahren steigen etwa die Anzeigen der BUAK am Bau – sowohl absolut als auch pro Kontrolle. Die aufgezählten Missstände verhindern, dass schwarze Schafe, vor allem aus Osteuropa, abgeschreckt werden.

Für alle, die aktiv gegen Lohn- und Sozialdumping vorgehen, können die aufgezeigten Missstände jedenfalls zur Motivationsbremse werden. Die Gefahr besteht, dass Behörden den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping aufgrund der geringen Effektivität reduzieren oder sogar einstellen. Die Bezirkshauptmannschaften und die Bundesländer sind hierbei lediglich vollziehende Behörden. Die Finanzpolizei muss mit dem vorgegebenen Personalstand und den politisch gesetzten Schwerpunkten arbeiten. Gefordert sind vor allem der Bund und die EU, in deren Zuständigkeit die genannten Probleme fallen.

Die Bundesregierung muss einerseits danach trachten, das Kontrollnetz durch mehr Personal bei der Finanzpolizei zu verdichten. Andererseits sind die gesetzlichen Grundlagen für die Abwicklung der Verfahren zu reparieren: Die Fristen für die Verfolgungsverjährung, für die Rückgabe von Sicherheitsleistungen und die insgesamten Verjährungsfristen sind an die zunehmende Komplexität der Verfahren anzupassen, also zu verlängern. Solange sich die grenzüberschreitende Einhebung von Strafen derart schwierig gestaltet, braucht Österreich aber auch rasch nationale Instrumente, um Strafen gegen ausländische Unternehmen zu vollstrecken: einerseits durch die konsequentere Einhebung von Sicherheitsleistungen, andererseits durch mehr Betätigungsverbote und den Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben.

Wobei die Bundesregierung aktuell doppelt in der Pflicht ist: als nationale Regierung und als Inhaberin der EU-Ratspräsidentschaft im aktuell laufenden Halbjahr. Denn der aktuelle rechtsfreie Status quo für ausländische Unternehmen stellt auch die Dienstleistungsfreiheit – eine der Säulen der EU – infrage. Zur Lösung auf europäischer Ebene würde eine EU-Arbeitsbehörde mit entsprechenden Kompetenzen beitragen. Die EU-Kommission hat im März 2018 dieses Konzept vorgelegt. Nun sind das EU-Parlament und der EU-Rat am Zug. Der dafür zuständige EPSCO-Rat der Arbeits-, Sozial- und GesundheitsministerInnen im Oktober wurde abgesagt – der Verdacht einer Verschleppung dieser Entscheidung durch die österreichische EU-Ratspräsidentschaft liegt nahe. Eine politische Einigung im Rat könnte nun im Dezember 2018 erfolgen. Es wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den internationalen Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping.