Gemeinsam für die Freiheit des Kapitals?

20. April 2017

Die Eliten proben den Aufstand der Anständigen. Wer gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist, muss auch gegen Handelsschranken und für freie Märkte sein, so die Botschaft. Das liberale Bürgertum will jetzt die Anti-Trump-Stimmung nutzen, um einer gescheiterten marktradikalen Politik eine zweite Chance zu geben. Gewerkschaften sollten aber auf einen eigenen Standpunkt beharren. Nur eine sozial gerecht gestaltete Globalisierung ist auch im Interesse der abhängig Beschäftigten.

Rechtspopulismus als Antwort auf neoliberale Politik

Die Neue Rechte ist aus den Ruinen des Neoliberalismus auferstanden: Eine neoliberal gestaltete Globalisierung trug dazu bei, dass die Ungleichheit weltweit zunahm. Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung, Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung trieben die soziale Spaltung voran. Trump, Farage, Le Pen, Wilders, Petry & Co gelang es anschließend, den sozialen Protest der Unter- und Mittelschichten auf ihre Mühlen zu lenken. Nicht zuletzt aufgrund des langjährigen Flirts der US-Demokraten und der europäischen Sozialdemokratie mit dem Neoliberalismus. Häufig ist die Stimme für die Rechtspopulisten auch eine Stimme gegen marktradikale Politik.

Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung stehen heute Trumps nationalistische Wirtschaftspolitik und der Wunsch vieler Briten der EU den Rücken zu kehren. Der angelsächsische Versuch das Rad der Globalisierung zurückzudrehen, führt aus wirtschaftsliberaler Sicht direkt in den Untergang. Doch Vorsicht! Der Absturz der vermeintlichen Bruchpiloten May und Trump ist keineswegs so sicher, wie von liberalen Ökonomen vorhergesagt.

Auf der Insel ruderte die ökonomische Zunft bereits zurück. Ihre Horrorprognosen traten nach dem Anti-EU-Referendum nicht ein. Der große Crash der britischen Wirtschaft lässt noch immer auf sich warten. Das Timing war falsch, entschuldigte sich jüngst der oberste Zentralbanker Mark Carney. Währenddessen profitieren Rolls Royce, Rio Tinto & Co vom billigen Pfund. Die britischen Ausfuhren stiegen zuletzt um vier Prozent. Letztes Jahr wuchs das Vereinigte Königreich sogar stärker als die Wirtschaft der Eurozone.

Im Januar hat Theresa May einen Politik-Mix aus aktiver Industriepolitik, Infrastrukturinvestitionen, Steuersenkungen und Deregulierung angekündigt. Genaueres blieb die Tory-Regierung bisher schuldig. Wie es mit dem ehemaligen Empire wirtschaftlich weiter geht, hängt aktuell von so vielen unbekannten Faktoren – nationale Wirtschaftspolitik, Brexit-Verhandlungen, Wirtschaftsbeziehungen zu den USA – ab, dass eine seriöse Prognose nicht möglich ist. Wichtiger ist aber, was auf der anderen Seite des Atlantiks passiert.

Nach der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten brannte die Wall Street ein Feuerwerk ab. Trumps wirtschaftspolitischer Cocktail aus Infrastrukturinvestitionen, Rüstungsausgaben, Steuersenkungen, Deregulierung und Protektionismus schmeckt vielen Investoren.

Banker, Broker und Vermögensverwalter hoffen jetzt darauf, dass Trump die ihnen von Obama angelegten Fesseln lockert. Der neue US-Präsident will das Dodd-Frank-Gesetz und die Verbraucherschutzreform entschärfen. Wenn diese angekündigte Entfesselung der Finanzmärkte in die Praxis umgesetzt wird, würden neue Spekulationsblasen entstehen. Steigende Vermögenspreise könnten aufgrund der breiten Streuung von Wertpapieren den Konsum kurzfristig ankurbeln. Wenn die Blase platzt, geht es aber sofort bergab.

Ob Trumps Wirtschaftspolitik kurzfristig Wachstum und Jobs schafft, hängt maßgeblich von der neuen Finanzpolitik ab. Der 45. US-Präsident will in den nächsten zehn Jahren rund 1000 Milliarden US-Dollar in die marode Infrastruktur seines Landes investieren. Das ist vernünftig. Der US-Investitionsstau beläuft sich bis 2020 auf geschätzte 3,6 Billionen Dollar. Trump will private Finanzinvestoren motivieren in Brücken, Straßen und Krankenhäuser zu investieren. Wer mitmacht, zahlt weniger Steuern, darf Nutzerentgelte kassieren und bekommt staatlich garantierte Renditen. Ob diese US-Variante des europäischen Junker-Plans funktioniert, ist äußerst fraglich. Wenn Trump die Infrastruktur des Rostgürtels sanieren will, muss er auf klassische kreditfinanzierte öffentliche Investitionen setzen. Sollte er das tun, kann der selbst ernannte „größte Jobbeschaffer, den Gott je gesehen hat“, das US-Wachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen.

Darüber hinaus will der US-Präsident Unternehmen und Reiche mit großen Steuergeschenken beglücken. Firmen sollen auf ihre Gewinne statt aktuell 35 Prozent künftig nur noch 15 bis 20 Prozent Steuern zahlen. Mehr als die Hälfte der Steuerentlastung würde dem reichsten ein Prozent zugutekommen. Diese Neuauflage von Reagans steuerpolitischer Reichtumspflege schafft weder Wachstum noch Jobs. Das Einzige was wachsen wird sind die Ungleichheit und die Staatsschulden. Lediglich die geplante Cashflow-Steuer könnte die heimische Wirtschaft anschieben. Diese Steuer verteuert die Einfuhren und subventioniert die Ausfuhren.

Teufelszeug Protektionismus?

Der umstrittenste Teil von Trumps nationalistischer Wirtschaftspolitik ist die Handelspolitik. Der oberste Wutbürger will Handelsverträge neu verhandeln oder kündigen. US-Firmen, die nicht zu Hause produzieren, sollen künftig Strafzölle oder Importsteuern zahlen. Der neue US-Präsident hat bereits das transpazifische Handelsabkommen TTP in die Tonne getreten. Dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP droht das gleiche Schicksal. Dieser neue US-amerikanische Protektionismus erntet heftige internationale Kritik. Die pauschale Verurteilung politischer Eingriffe in grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsströme ist aber nicht gerechtfertigt. Handelsschranken sind kein Teufelszeug.

Dafür reicht ein kurzer Blick in die Wirtschaftsgeschichte. Alle großen Industrienationen haben ihre neu entstehenden Wirtschaftszweige vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Erst als ihre Unternehmen international konkurrenzfähig waren, wurden die Handelsschranken wieder abgebaut. Im 19. Jahrhundert schützte beispielsweise der Deutsche Zollverein den heimischen Eisenbahnbau vor den technisch weit überlegenen britischen Lokomotivenherstellern mit hohen Zöllen. Ohne diesen Schutzzaun wäre die deutsche Industrialisierung nicht erfolgreich verlaufen.

Auch wenn sich die Situation heute anders darstellt, weil vor allem Industrienationen untereinander Handel treiben und es mehr um größere Absatzmärkte denn um komparative Kostenvorteile geht, profitieren nicht alle von größeren Märkten. Der US-Wirtschaft tat der verschärfte internationale Wettbewerb nicht gut. Die Vereinigten Staaten führen seit Jahrzehnten mehr Waren ein, als sie exportieren.

Größter Globalisierungsverlierer war die US-Industriearbeiterschaft. Seit 1980 strichen General Motors, Ford, Chrysler & Co zwei von fünf heimische Arbeitsplätze. Natürlich wurden nicht alle verlorenen Jobs, wie von Trump unterstellt, von Chinesen, Mexikanern und Deutschen geklaut. Auch die Rationalisierung der Industrieproduktion kostete Millionen Arbeitsplätze. Dennoch führte die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA zur Verlagerung von rund 850.000 US-Arbeitsplätzen – überwiegend in der Automobilproduktion – nach Mexiko.

Ferner vernichtete der Handel mit China 3,4 Millionen US-Jobs in den letzten 15 Jahren. Betroffen waren die Hersteller von Computern und Elektronikbauteilen, der Maschinenbau und die Stahlindustrie. Im Gegenzug stieg die Produktvielfalt der Importe und die Preise vieler eingeführter Waren purzelten. Billigere chinesische T-Shirts und günstigere mexikanische Tortillas nützen aber dem arbeitslosen Ex-Autobauer aus Detroit überhaupt nichts.

Die Clinton-, Bush- und Obama-Administrationen nahmen diese destruktiven Folgen einer neoliberalen Globalisierung tatenlos hin – ein eklatantes Politikversagen. Wenn jetzt Trump versucht mit Strafzöllen, Mengenkontingenten und einer Importsteuer/Cashflow-Steuer Jobs zurückzuholen, kann das funktionieren. In den USA werden rund 3,3 Millionen Autos mehr verkauft als zwischen Los Angeles und New York produziert werden. Eine kräftige Verteuerung der Fahrzeugimporte macht die heimische Produktion attraktiver.

Voraussetzung für mehr Jobs ist aber, dass das Ausland ebenfalls nicht neue Handelsschranken errichtet. Sonst droht ein internationaler Handelskrieg mit vielen Verlierern. Solange die USA aber über die globale Leitwährung und das weltweit schlagkräftigste Militär verfügen, werden die meisten von US-Handelssanktionen betroffenen Staaten keine Vergeltung üben.

Unter dem Strich könnte Trumps nationalistische Wirtschaftspolitik – konzeptionelle Änderungen beim Investitionsprogramm vorausgesetzt – also kurzfristig für mehr Arbeitsplätze sorgen.

Neue Strategien gefragt

Gewerkschaften und andere progressive gesellschaftliche Kräfte sollten ein solches Szenario in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen. Fatal wäre es, sich darauf zu verlassen, dass die Neue Rechte ökonomisch scheitert. Wenn die Kassandrarufe der orthodoxen Ökonomen sich nicht materialisieren, dann sind die Eliten nackt. Für die Rechtspopulisten wäre das zusätzlicher Rückenwind. Insbesondere vor dem Hintergrund einer europaweiten Austeritätspolitik, welche die Arbeits- und Lebensbedingungen von Millionen Menschen auf dem alten Kontinent weiter verschlechtert.

Deswegen ist es wichtig, in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten, einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Dass Steuergeschenke für Reiche und entfesselte Finanzmärkte keine gute Wirtschaftspolitik sind, ist inzwischen Mehrheitsmeinung. Ein kreditfinanziertes Infrastrukturprogramm – wenn es entsprechend ausgestaltet wird – schafft aber Wachstum und Jobs – unabhängig davon, ob im Weißen Haus ein Humanist oder Rassist regiert.

Sozial ist natürlich nicht alles, was Arbeit schafft. Der konsequente Einsatz für gut entlohnte, gesunde und mitbestimmte Arbeit sowie für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, kann maßgeblich dazu beitragen, die arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Haltung der Neuen Rechten zu entlarven. Folglich müssen die Rechtspopulisten vor allem auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gestellt werden. Das geht aber nicht mit, sondern nur gegen den liberalen Mainstream.

Und in der Handelspolitik darf die Antwort auf Trump und Brexit nicht in einer Verteidigung der neoliberalen Globalisierung bestehen. Die liberale Radikalkritik am Protektionismus wird nicht dadurch richtiger, nur weil es jetzt die Neue Rechte ist, die den Primat der Politik gegenüber den Märkten einfordert und durchsetzt.

Die Alternative zu uneingeschränkt offenen Märkten ist eine sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung. Arbeitnehmerrechte, die öffentliche Daseinsvorsorge, Umwelt und Kultur müssen in internationalen Handelsabkommen geschützt werden. Folglich ist die Trump-Wahl kein Anlass, eine neue Generation von Handelsabkommen wie etwa CETA reflexartig zu belobigen. Wer gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist, kann und sollte auch gegen die grenzenlose Freiheit des Kapitals sein.