Der Fall Meta/Kustomer und die Fusionskontrolle im Digitalsektor

03. März 2023

Die Digitalkonzerne Google, Amazon, Meta (ehemals Facebook), Apple und Microsoft (kurz: GAFAM) haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren insbesondere durch den Kauf anderer Unternehmen digitalindustrielle Imperien aufgebaut. Diese Aktivität wird vor allem in den letzten Jahren verstärkt kritisch gesehen, und Rufe nach mehr Zusammenschlusskontrolle werden immer lauter – zu Recht.

Defizite des Wettbewerbsschutzes

Fairer Wettbewerb ist ein Grundprinzip der Europäischen Union und eine wichtige Voraussetzung für Innovation, die Entwicklung von Leistungen, angemessene Preise und damit für eine effiziente und gerechte Verteilung von Wohlstand. Das europäische Wettbewerbsrecht verbietet Unternehmenszusammenschlüsse, die den Wettbewerb einschränken und damit nicht nur Mitbewerber, sondern auch Verbraucher:innen schädigen. Die Zusammenschlusskontrolle soll verhindern, dass es zu marktbeherrschenden Positionen und zu Marktmachtmissbrauch kommt. Deshalb müssen Zusammenschlüsse (von Bedeutung für den Binnenmarkt) angemeldet werden. Die EU-Kommission prüft sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Wettbewerbsrecht.

Verbote von Zusammenschlüssen sind allerdings – auch abseits der großen Digitalkonzerne – selten. Weltweit gibt es mit der Übernahme von Giphy durch Meta im Digitalsektor nur eine einzige prominente Ausnahme bei einem Zusammenschluss, der letztendlich von der britischen Wettbewerbsbehörde (CMA) verboten wurde. Expert:innen sprechen in Bezug auf den Digitalsektor von einem globalen „underenforcement“, einem Vollzugsdefizit in der Zusammenschlusskontrolle. Dieses Defizit ist insbesondere deshalb ein Problem für fairen Wettbewerb, weil digitale Märkte von wirtschaftlichen Besonderheiten geprägt sind, die es in Offline-Märkten so nicht gibt. Zwar sind Netzwerkeffekte und Skalenvorteile auch aus anderen Branchen bekannt, im Zusammenspiel mit den Ökosystemen der Digitalkonzerne und der systematischen Datensammlung, werden sie aber zu einem mitunter ungesunden Cocktail für die Marktmachtverhältnisse.

Der Fall Meta/Kustomer

Häufig werden Fusionen unter Auflagen, welche die Wettbewerbsbedenken ausräumen sollen, genehmigt. So geschah dies auch im Fall Meta/Kustomer. Kustomer ist Anbieter eines CRM-Tools, einer abonnementbasierten Softwarelösung. Dieses erlaubt es Unternehmen, ihre Kund:inneninteraktionen zu organisieren („Customer Relationship Management“), auch unter Einbindung von Social Media oder Messaging-Kanälen wie Facebook, Instagram und WhatsApp. Sie alle gehören zu Meta. Die primäre Befürchtung der EU-Kommission war daher, dass Meta nach seiner Übernahme von Kustomer den Zugang zu den Programmierschnittstellen, die diese Einbindung ermöglichen, für Wettbewerber im CRM-Markt abschneiden könnte. Darüber hinaus könnte Meta über Kustomer Zugang zu einer Vielzahl von Kund:innendaten kommen, die in weiterer Folge auch für Werbezwecke fruchtbar gemacht werden können. Der Fall Meta/Kustomer wareiner der seltenen Fälle, in denen überhaupt eine Entscheidung zu einem Fusionskontrollvorhaben im Digitalsektor auf europäischer Ebene behandelt wurde.

Catch me if you can: von verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten

Denn ein zentrales Problem ist die Schwierigkeit, bedenkliche Fusionen überhaupt einer inhaltlichen Überprüfung durch die Wettbewerbsbehörde zugänglich zu machen. Das System der Fusionskontrolle macht die Anmeldepflicht von der Größe der Unternehmen gemessen am erwirtschafteten Umsatz abhängig, so auch die EU-Fusionskontrollverordnung (FKVO). Dadurch werden Transaktionen nicht erfasst, wenn das Übernahmeobjekt ein Unternehmen ist, das im Zeitpunkt der Anmeldung wenig bis gar keinen Umsatz erwirtschaftet. Also gänzlich unabhängig davon, ob ein solches Übernahmeobjekt großes Zukunftspotenzial hat. So war etwa in der Vergangenheit die Übernahme von Instagram durch Facebook in der EU gar nicht anmeldepflichtig. Wettbewerbsrechtlich bedenkliche Fusionen wurden deshalb über den Umweg der Vorlagen nationaler Behörden auf die europäische Ebene gehoben, zum Beispiel in dem Fall Apple/Shazam.

In Österreich und Deutschland wurden deshalb zusätzlich zu Umsatz- auch Transaktionswertschwellen eingeführt: Transaktionen, die gewisse Kaufpreise überschreiten, unterliegen der Anmeldepflicht. Deshalb war es dem deutschen Bundeskartellamt möglich, den Zusammenschluss zwischen Meta und Kustomer zu untersuchen. Auch in Österreich war die Transaktion anmeldepflichtig. In der Folge verwies die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) den Fall an die EU-Kommission. Die Fusion wurde letzten Endes unter Erteilung von Auflagen genehmigt. Der konkrete Fall zeigt, dass die Stoßrichtung der neuen EU-Verordnung über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) richtig ist: Sogenannte Torwächter (Gatekeeper) müssen Fusionsvorhaben bei der EU-Kommission melden. Unterhalb der Schwellenwerte der FKVO ist jedoch nach wie vor keine inhaltliche Überprüfung auf EU-Ebene möglich. Die Einführung einer Transaktionswertschwelle auf europäischer Ebene wäre ein weiterer Schritt, um mehr bedenkliche Transaktionen auf EU-Ebene einer Überprüfung zugänglich zu machen, unabhängig von einer Vorlage durch eine nationale Wettbewerbsbehörde.

Meta von der Wiege bis zur Bahre: Datenvorteile und digitale Ökosysteme

Eine Transaktion vom Fusionskontrollregime zu erfassen ist aber nur die halbe Miete, denn auch die inhaltliche Beurteilung muss den Besonderheiten von digitalen Ökosystemen gerecht werden. Die Digitalkonzerne sind in der Regel global tätig. Daher muss die geplante Fusion in der Regel bei einer Vielzahl von Wettbewerbsbehörden angemeldet werden, von der EU über die USA bis Südafrika, Japan, Australien oder Mexiko. Sie alle kämpfen mit ähnlichen Problemen: Plattformmärkte sind geprägt von Netzwerk- und Lock-in-Effekten sowie Skaleneffekten. Alle diese Besonderheiten müssen ausreichend Berücksichtigung in den Verfahren finden.

Leider macht die Entscheidung zu Meta/Kustomer erneut deutlich, dass dies oft nicht der Fall ist. Datenvorteile und die Stärkung von Ökosystemen werden zwar benannt und oberflächlich behandelt, letzten Endes greift die EU-Kommission aber auf etablierte, oft inadäquate Konzepte der Wettbewerbsschädigung zurück, weshalb die Auflagen diese aktuellen Aspekte letztlich nicht adressieren. So fehlt zum Beispiel trotz Metas unangefochten beherrschender Stellung im Online-Werbemarkt ein Verbot, Kund:innendaten, die durch Kustomer erlangt werden, für Online-Werbung zu verwenden.

Traditionelle Konzepte der Wettbewerbsschädigung greifen im Digitalbereich meist zu kurz. Insbesondere das Abstellen auf erhöhte Preise für Konsument:innen als Messgröße für reduzierten Wettbewerb scheitert oft, weil die Dienstleistungen der Plattformen in der Regel gratis genutzt werden können und die Nutzer:innen mit ihren Daten oder ihrer Aufmerksamkeit bezahlen statt mit Geld. Außerdem ist das übernommene Unternehmen bei Fusionen in der Digitalökonomie oft nicht im gleichen Markt tätig, weshalb der Zusammenschluss nicht unmittelbar den Wettbewerb in einem Markt reduziert. Solche Zusammenschlussvorhaben von Unternehmen, die nicht in direktem Wettbewerb zueinander stehen, werden von der EU-Kommission im Allgemeinen als weniger bedenklich eingestuft als solche von direkten Wettbewerbern. Die in Aussicht genommene Überarbeitung der Bekanntmachung über die Marktdefinition trägt diesen Besonderheiten digitaler Märkte teilweise Rechnung.

Die EU-Kommission zeigt sich aber trotz der besonderen Gegebenheiten auf Plattformmärkten und Bauchschmerzen der nationalen Wettbewerbsbehörden nach wie vor zurückhaltend, wenn es darum geht, Fusionsvorhaben zu verbieten.

Datenschutzverletzungen sind kein Kavaliersdelikt!

Abseits der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung werfen viele Fusionsvorhaben aufgrund der zentralen Bedeutung von Daten die Frage auf, inwiefern Datenschutzbedenken für die Wettbewerbsbehörden eine Rolle spielen sollen. Auch bei Meta/Kustomer ist der Datenzugriff für das werbegetriebene Geschäftsmodell von Meta der wichtigste Rohstoff. Der Hinweis, dass der Schutz persönlicher Daten durch die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und die für ihren Vollzug zuständigen Datenschutzbehörden besser geeignet seien, greift zu kurz. Die DSGVO weist viele Schutzlücken auf, wo die persönlichen Daten der zustimmenden Person neben ihrem eigenen Verhalten auch Rückschlüsse über Dritte, die nicht nach ihrer Zustimmung gefragt wurden, oder durch Big-Data-Analysen über gewisse Gruppen erlauben („collective data harms“).

Überlegungen des Datenschutzes nur einer Ex-post-Betrachtung durch die Datenschutzbehörde zu überlassen ist schon allein wegen der Schutzlücken ein Fehler. Aber auch, weil es in der Konsequenz zu zwei ressourcenintensiven Verfahren kommt: einmal vor der Wettbewerbsbehörde bei der Genehmigung des Zusammenschlusses und einmal vor der Datenschutzbehörde, wenn es nachträglich zu einem absehbaren Verstoß gegen die rechtlichen Vorschriften kommt. Eine Mitberücksichtigung dieser Anliegen bereits im Genehmigungsverfahren wäre daher absolut zweckmäßig.

Die Genehmigung unter Auflagen als Allheilmittel

Auflagen zur Beseitigung von Wettbewerbsbedenken lassen sich grob einteilen in strukturelle, semistrukturelle und verhaltensbasierte Auflagen. Obwohl strukturelle Auflagen, wie die Veräußerung von Unternehmensteilen, für Vollzugsbehörden und Unternehmen größte Klarheit schaffen und nachträglich wenig Aufwand in der Überwachung erfordern, werden gerade in digitalen Fusionskontrollfällen gerne semistrukturelle oder verhaltensbasierte Auflagen vorgeschrieben. Sie werden als flexibler und treffsicherer gelobt, bringen aber auch Probleme mit sich: Bedenken im Zusammenhang mit digitalen Ökosystemen werden dabei nur teilweise adressiert. Auflagen, die Datenzugriff vorsehen, stehen in einem Spannungsverhältnis zu Datenschutzüberlegungen. Der administrative Aufwand für die Behörde, das Einhalten der Auflagen zu überwachen, ist höher. Dazu kommt, dass Wettbewerber aufgrund von Informationsasymmetrien oftmals nicht über das nötige Wissen verfügen, um gegen Verstöße vorzugehen. Die Erfahrungswerte mit Auflagen im Digitalsektor sind noch jung, es ist daher ratsam, ihre Wirksamkeit genau zu überwachen und in der Zukunft entsprechend zu adaptieren.

Fusionskontrolle: Instrument gegen unfaire Marktmacht

Plattformmacht birgt Risiken, die über wirtschaftliche Übermacht oder verzerrte Preise hinausgehen: Die Größe der Plattformen hat auch reale Auswirkungen auf die Verhandlungsposition dieser Konzerne gegenüber Arbeitnehmer:innen. Darüber hinaus haben die Big-Tech-Konzerne bedenklich viel Datenwissen über persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen, das sie nicht nur für Werbekund:innen gewinnbringend vermarkten, sondern auch zur Manipulation von politischen Prozessen nutzbar machen können.

Deshalb ist eine Regulierung von Unternehmen, die bereits eine übermächtige Stellung innehaben, zum Beispiel durch den DMA und den Digital Services Act (DSA) und deren zielstrebiger Vollzug, entscheidend. Als Ansatzpunkt, um schon das Entstehen oder den weiteren Ausbau der Macht von Unternehmen dieser Größe zu verhindern, eignet sich insbesondere die Vorabprüfung von Zusammenschlussvorhaben im Zuge der Fusionskontrolle. Fraglich ist, ob die Gesetzgebung und der Vollzug in der europäischen Fusionskontrolle mutigere Schritte wagen, um an der Wurzel des Problems anzusetzen, oder ob man den großen Plattformkonzernen auch in Zukunft nur nachträglich auf die Finger klopfen möchte.

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