Flüchtlingskrise und globale Gleichstellung von Frauen

15. Februar 2016

Wie Europa mit der Flüchtlingskrise umgeht, wird enormen Einfluss auf die globale Entwicklung und die Gleichstellung der Geschlechter haben. Mehr als die Hälfte der über 60 Mio. Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, sind Frauen und Mädchen. Die Flüchtlingskrise unter dem Gender-Aspekt zu betrachten ist daher wesentlich, um diese Herausforderung zu bewältigen, sagte Irene Khan in ihrer Keynote zum 2. Barbara Prammer-Symposium mit dem Titel „Frauen.Flucht.Solidarität“. Khan konstatierte dabei auch: „Wir befinden uns an einem gefährlichen Wendepunkt, denn bisherige Errungenschaften im Sinne der Frauen stehen auf dem Spiel”.

 

Khan, die auf jahrelange Arbeit in der internationalen Flüchtlingshilfe zurückblicken kann, sieht eine enge Verknüpfung der Themen Frauen, Flüchtlinge und Solidarität. Sie nannte mehrere Faktoren, die beim Thema Frauen und Flucht in den Fokus rücken müssen, darunter die Unterstützung zur Selbstbestimmung und den globalen Kampf gegen geschlechterspezifische Diskriminierung.

Rechtliche Gleichstellung und Rechtsstaatlichkeit

Als ersten entscheidenden Faktor sieht Khan das Vorantreiben von Rechtsstaatlichkeit und damit einhergehend der rechtlichen Gleichstellung von Frauen weltweit. In vielen Ländern der Welt versagen Gesetze und Institutionen nicht nur dabei, Frauen zu beschützen, sie diskriminieren Frauen aktiv. Sie werden in ihren Rechten und Freiheiten beschnitten und unter die Vormundschaft männlicher Angehöriger gestellt. Sie sind nicht ermächtigt, über ihr Leben, ihren Körper, ihren Umgang mit anderen, ihr Eigentum zu bestimmen. Wo rechtliche Ungleichheit verbreitet ist, greift auch geschlechterspezifische Gewalt um sich. In der Diskussion um Frauen auf der Flucht muss diese Ungleichheit daher thematisiert werden. Flüchtlingsfrauen können nicht effektiv beschützt werden, wenn keine Bereitschaft besteht, die rechtliche Diskriminierung von Frauen weltweit zu bekämpfen. Dazu müssen die strukturellen, zugrundeliegenden Faktoren verändert werden. Denn, so Khan, kann nicht über Solidarität mit Flüchtlingen gesprochen werden, wenn nicht zugleich Solidarität gegenüber Frauen gezeigt wird.

Bedrohung durch sexuelle Gewalt

Als zweiten Punkt führte Khan an, dass Frauen und Mädchen auf der Flucht ganz besonders Gefahren sexueller Gewalt ausgesetzt sind, sowohl auf dem Weg nach Europa als auch in Flüchtlingscamps in ihren Heimatregionen. Oft haben sie keine Möglichkeit, rechtlich dagegen vorzugehen, da die Polizei nicht auf sie hört und die Strukturen in den Camps ausschließlich von Männern bestimmt werden. Vielfach haben sie weder das notwendige Geld, noch das Wissen oder den nötigen rechtlichen Beistand, um vor Gericht zu gehen.

Das Problem des fehlenden Schutzes für Frauen birgt weitere Probleme mit sich, wie Zwangsheirat und Kinder-Ehen, Gesundheitsprobleme, häusliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung und fehlende Möglichkeiten für Bildung und Ausbildung. Doch gerade Bildung und Arbeit sind der Weg, um Mädchen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Solidarität mit Frauen zu zeigen bedeute, sowohl Frauen, die nach Europa flüchten, als auch solche, die in ihren Heimatregionen bleiben, zu unterstützen.

Europa fehlt eine klare Strategie in Flüchtlingskrise

Weder für Europa, noch für Österreich seien Flüchtlingsströme etwas Unbekanntes, sagte Khan mit Verweis etwa auf die Folgen der Ungarnkrise oder der Balkankriege. Dieses Mal kommen die Flüchtlinge jedoch von außerhalb Europas und werfen Fragen nach kultureller Integration auf. Europa verfügt hier über keine klare Strategie. Das europäische Asyl-System hat hinsichtlich einer gerechten Verteilung der Lasten versagt. Es brauche effektivere Maßnahmen, um die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen, für politische Entscheidungen und Lösungen zu teilen. Außerdem braucht es behutsame Grenzkontrollen und erweitere Möglichkeiten für legale Migration.

Investitionen in politische Stabilität erspart Katastrophenhilfe

Daher fordert Khan, dass die globale Entwicklung insgesamt gestärkt werden muss. Politische Konflikte und Instabilität sind die größten Hindernisse bei der Entwicklung eines Landes. Frauen und Kinder leiden besonders, wenn Bildungs- und Gesundheitssystem eines Landes zusammenbrechen. Um Frieden zu gewährleisten, muss in die Errichtung funktionierender Institutionen, besonders in verantwortungsvolle Justiz-Systeme investiert werden. Gelder, die eigentlich für Entwicklungshilfe gedacht seien, für die Flüchtlingshilfe zu verwenden, ist daher ein besorgniserregender Trend, denn damit würden nur Symptome, nicht die Ursachen für die Flüchtlingsbewegungen bekämpft. Entwicklungshilfe ist notwendig, um für Stabilität zu sorgen und die Menschen davon abzuhalten, ihr Land zu verlassen. Je mehr Geberländer bereit sind, zu investieren, umso weniger müssen sie für akute Katastrophenhilfe und Flüchtlingskrisen ausgeben.

Ermächtigung zur Selbstbestimmung

Als letzten wichtigen Punkt bezeichnet Khan die Notwendigkeit, Frauen zur Selbstbestimmung zu ermächtigen. Flüchtende Frauen dürfen nicht nur als Opfer betrachtet werden, sondern als Gestalterinnen ihres eigenen Schicksals. Frauen muss die Teilhabe an politischen Prozessen ermöglicht werde, sie müssen gehört werden und den Raum und die Ressourcen bekommen, um ihr eigenes Leben zu organisieren. Khan meinte abschließend: „In Frauen und Mädchen zu investieren ist kluges wirtschaften, sagt die Weltbank. Frauen und Mädchen zu ermächtigen ist kluge Politik, würde Barbara Prammer wohl sagen.“

Die Rede von Irene Khan kann auch hier nachgesehen werden:

/a>

Das zweite Barbara-Prammer-Symposium wurde vom SPÖ-Parlamentsklub, dem Karl Renner-Institut und den SPÖ-Frauen veranstaltet.

Europa Europäische Union Asyl Frauen Geschlechtergerechtigkeit Migration Arbeit Soziales Verteilung Wirtschaft

Nichts mehr verpassen!
Jetzt zu unserem Newsletter anmelden!