Einkommen in Österreich seit 2007 gesunken – Warum?

23. Oktober 2015

Die OECD hat im September 2015 eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass die verfügbaren Einkommen in Österreich seit 2007 um 2% gesunken sind. Das führt zur Frage, warum die Einkommen gesunken sind, obwohl die Gewerkschaften regelmäßige Erhöhungen der Mindestlöhne und -gehälter durchsetzen und Österreich eine fast flächendeckende Kollektivvertragsdeckung hat.

Die OECD Berechnungen haben für Österreich ergeben: „In Österreich sind die verfügbaren Einkommen in den vergangenen Jahren bei zugleich recht bescheidenem Wachstum der Wirtschaft entgegen dem OECD-Gesamttrend gesunken. Während das Pro-Kopf-Einkommen in den Industrieländern vom ersten Quartal 2007 bis Anfang 2015 um 8,1% zulegte – in Deutschland um 6,7% -, ging es bei uns um 2,2% zurück, wie neue OECD-Daten von Dienstag zeigen.“

Das zeigt eindeutig, dass Handlungsbedarf gegeben ist. Ist das nun aber Armutszeugnis für die Lohnpolitik oder woran liegt der Einkommensrückgang? Zunächst ist festzuhalten, dass die Einkommensentwicklung, wie sie die OECD darstellt, inflationsbereinigt ist. D.h. die verfügbaren Einkommen sind geringer gestiegen als die Preise und daher real gesunken. Aber ein Vergleich der Kollektivvertragserhöhungen und der Inflationsrate zeigt, dass die Lohnerhöhungen in der Regel über der Inflationsrate lagen.

Die entscheidende Erklärung liegt darin, dass die OECD nicht die Erwerbseinkommen analysiert hat, sondern die verfügbaren Haushaltseinkommen pro Kopf. Die verfügbaren Einkommen enthalten natürlich auch die Pensionen, Arbeitslosengelder, Familienbeihilfen etc. Es wurde also analysiert, wie sich die Nettoeinkommen der Haushalte inkl. der Sozialleistungen inflationsbereinigt entwickelt haben. Es werden in der Analyse alle Haushalte erfasst – nicht nur Erwerbstätigenhaushalte, sondern auch PensionistInnen, Arbeitslose etc. Das Zurückbleiben der verfügbaren Einkommen liegt u.a. daran, dass die Pensionen 2 Jahre unterhalb der Inflationsrate erhöht wurden. Familienbeihilfen und Pflegegeld wurden im Beobachtungszeitraum auch selten angepasst (Ausnahme: Schulstartgeld, Pflegegeld wurde einmal 2009 und erst wieder 2016 erhöht, Familienbeihilfe 2014).

Und für die verfügbaren Einkommen ist auch die Frage der Besteuerung zentral. Die Besteuerung von Einkommenszuwächsen durch die Lohnsteuer ab Erreichen der Steuergrenze bewirkt, dass sich die Nettoeinkommen der Beschäftigten prozentuell geringer erhöhen als die Bruttoeinkommen. Das ist aber grundsätzlich in einem progressiven Steuersystem immer der Fall und sinnvoll. Als problematisch hat sich der hohe Eingangssteuersatz und der Effekt der kalten Progression erwiesen, die dazu beigetragen haben, dass sich die Nettorealeinkommen sehr verhalten entwickelt haben. Die Steuerreform und die deutliche Reduktion des Eingangssteuersatzes sollten hier eine sinnvolle Entlastung bringen.

Nun zur Rolle der Kollektivverträge: Die KV Erhöhungen waren in den letzten Jahren über der Inflationsrate, so dass es zu Realeinkommenserhöhungen kam, wenngleich diese seit 2011 relativ gering ausgefallen sind. In den vergangenen 4 Jahren ist sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Zunahme der Arbeitsproduktivität fast zum Stillstand gekommen. Daher gab es inflationsbereinigt keine Zuwächse mehr zu verteilen. Seither ist auch die Lohnquote gestiegen. Die bereinigte Lohnquote stieg von 64% 2007 auf 70% 2014.

Das Ende der Zeiten nennenswerten Wachstums machen aber notwendig, verstärkt die Frage der Einkommensverteilung und nicht nur der Verteilung von Zuwächsen zu stellen. Solang es möglich ist, alle Einkommen durch Wachstum anzuheben, hat die Frage der Entwicklung der Einkommensunterschiede etwas weniger Brisanz als bei ausbleibenden Zuwächsen des Gesamteinkommens.

Auch unter den ArbeitnehmerInnen gibt es massive Unterschiede in der Einkommensentwicklung: Jene Menschen, die stabile Beschäftigungsverhältnisse haben, profitieren von KV Erhöhungen und oft von Vorrückungen im Gehaltsschema. Diese ArbeitnehmerInnen haben in der Regel deutliche Einkommenserhöhungen. Das zeigten die Daten des Einkommensberichts des Rechnungshofes. Personen, die in jeweils zwei aufeinanderfolgenden Jahren ganzjährig erwerbstätig waren und deren soziale Stellung sich nicht geändert hat, haben inflationsbereinigte Einkommenssteigerungen von ca. 2%. Demgegenüber sind die mittleren Bruttojahreseinkommen aller ArbeitnehmerInnen gesamthaft oft gesunken, was u.a. auf die Zunahme von Teilzeit und der nicht ganzjährigen Beschäftigung zurückzuführen ist. Von allen ArbeitnehmerInnen waren 2013 70% ganzjährig bzw. 50% ganzjährig vollzeitbeschäftigt.

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Quelle: Einkommensbericht des Rechnungshof 2014, S. 35, Grafik 4

Bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen sind daher Erhöhungen des Realeinkommens ganz wichtig! Das sichert die Kaufkraft der in Menschen, die in Beschäftigung stehen und sichert auch die Finanzgrundlage des Sozialstaats. Wichtig ist auch, dass die Kaufkraft von Sozial- und Transferleistungen gesichert werden muss.

Die Zahlen zeigen aber auch, wie wichtig die steuerliche Entlastung der Arbeitseinkommen, Pensionen und die Erhöhung der Negativsteuer ist, die 2016 in Kraft tritt. Auch die kalte Progression muss regelmäßig durch entsprechende Entlastungen kompensiert werden. Dazu eignet sich aber weniger ein Automatismus, als eine Vorgangsweise, bei der zuerst analysiert wird, welche Einkommensgruppen am stärksten von der kalten Progression betroffen waren und daher die Entlastung benötigen. Die kalte Progression trifft Einkommen ab Erreichen der Steuergrenze (ab ca. 1.250 EUR) bis zur Höchstbeitragsgrundlage (derzeit 4.650 EUR) viel stärker, als darüber liegende Einkommen. Dem würde ein Automatismus, der die Steuergrenze um die durchschnittliche Inflation anhebt, nicht gerecht.

Die Zunahme der Teilzeit bei Rückgang der Vollzeit zeigt die Notwendigkeit einer Arbeitszeitverkürzung und einer gerechteren Verteilung der Arbeit.

Die hohe Dynamik am Arbeitsmarkt zeigt, dass eine Abflachung der Seniorität und höhere Mindestgehälter notwendig sind, damit alle Beschäftigten von Einkommenserhöhungen erfasst werden und Arbeitsplatzwechsel nicht zur Einkommenseinbußen führen. Daher intensivieren die Gewerkschaften ihre Bemühungen um ein kollektivvertragliches Mindesteinkommen von 1.700 EUR. Das und eine allgemeine Erhöhung der Einstiegseinkommen würde auch die Einkommenslage jener ArbeitnehmerInnen verbessern, die nicht durchgängig beschäftigt sind.