Von makroökonomischen Konditionalitäten zu Leistungsüberprüfungen & Finanzkorrekturen – die neuen Ungetümer der europäischen Strukturfonds mit Giftzähnen!

09. Januar 2014

Die europäische Kohäsionspolitik wird in der neuen Finanzperiode von 2014 bis 2020 mit der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten verknüpft! Die Auszahlung von europäischen Kohäsionsmittel wird an die effektive Umsetzung von Austeritätspolitiken und Strukturanpassungen im Rahmen der Economic Governace („Six Pack“) sowie an die Zielerreichung von Indikatoren, die in Partnerschaftsabkommen vereinbart werden, gebunden. Ist das nicht ein eklatanter Missbrauch der europäischen Kohäsionspolitik? 

In diesem Beitrag wollen wir die neuen Sanktionsmechanismen der europäischen  Kohäsionspolitik kommentieren. Denn durch diese Mechanismen wird der Solidaritätsgedanke der Kohäsionspolitik ignoriert, wodurch die europäische Kohäsionspolitik ein völlig anderes Gesicht bekommt.

Der umstrittene Kommissionsansatz war nicht abzuwenden

Mehr als zwei Jahre haben die europäischen Institutionen die neuen gemeinsamen Bestimmungen über die europäischen Fonds diskutiert. Die Kommission hat in ihrem ursprünglichen Entwurf Sommer 2011 das Thema der makroökonomischen Konditionalitäten eingebracht. Die Auszahlung der Kohäsionsfondsmittel soll an die Erreichung von Zielvorgaben gebunden werden. Die neun Nettozahlerstaaten der EU haben den Ansatz begrüßt und verteidigt, die übrigen zwei Drittel  der Mitgliedsstaaten, nämlich die Nettoempfänger, haben sich dagegen gewehrt. Doch wer bezahlt, schafft an!

Und da es um die Verteilung der EU-Budgetmittel geht, hat auch das Europäische Parlament ein gewichtiges Wort mitgeredet. Mit Ende November 2013 wurde der EU-Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 nach  Trilog-Verhandlungen zeitgerecht vor der neuen Finanzperiode verabschiedet. Dieser enthält u.a. gemeinsame Bestimmungen, die auf den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds (KF), den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) Anwendung finden. Die Fonds sind mit insgesamt 366,8 Mrd. Euro dotiert. Das Ergebnis der Debatte ist nicht nur ein (begriffliches) Ungetüm, schwer zu erfassen und wohl auch zu administrieren, sondern verknüpft die Kohäsionspolitik mit der allgemeinen wirtschaftspolitischen Steuerung der EU. Auch ist das EU-Budget ein Sparbudget: erstmals ist ein mehrjähriger Finanzrahmen mit weniger Mitteln ausgestattet als eine vorausgegangene Finanzperiode.

Ex-ante-Konditionalitäten, Leistungsüberprüfungen und „sticks and carrots“

Die erste Bedingung steht im unmittelbaren Zusammenhang  mit der Kohäsionspolitik und soll die europäischen Mittel effizienter und zielorientierter den Europa 2020-Zielen zuordnen. Zwischen  Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat wird zur Umsetzung der EFRE, KF, ESF und ELER-Programme eine sogenannte Partnerschaftsvereinbarung geschlossen, in der ex-ante Konditionalitäten festgelegt werden. Diese machen eine Leistungsüberprüfung möglich, da die Länder und Regionen im Vorhinein angeben müssen, welche Ziele sie mit den verfügbaren Ressourcen anstreben und festlegen, wie sie die Fortschritte bei der Erreichung dieser Ziele messen wollen.

Mit jährlichen Durchführungsberichten monitort die Kommission die Fortschritte. Spätestens im Jahr 2017 wird die Zielerreichung evaluiert. Werden die ex-ante Konditionalitäten nicht erreicht, so haben sich Mitgliedsstaaten zu rechtfertigen und die Programme und Maßnahmen der Kohäsionspolitik – auch auf Empfehlung der Kommission und des Rates – abzuändern.  Kommt der Mitgliedstaat der Empfehlung nicht nach, kann die Kommission die Aussetzung von Zahlungen vorschlagen. Bei der Suspendierung der Mittel ist ein Stufenplan bis 100 % vorgesehen.

Umgekehrt können Mitgliedstaaten mit erfolgreicher Zielerreichung gegen Ende der Laufzeit – entsprechend dem „sticks and carrots“-Ansatz – zusätzliche Mittel aus der sog. leistungsgebunden Reserve für leistungsstarke Programme zur Verfügung gestellt bekommen. Rund 6 % der Fondmittel werden hierfür zurückgehalten.

Mehr Aufwand, weniger zuverlässig und gerecht!

Grundsätzlich kann dem Ansatz der ergebnisorientierten Mittelverteilung etwas abgewonnen werden, als er den zielgerichteten Einsatz der EU-Mittel fördert. Die Bewilligung von Programmen, laufende Berichtspflichten und Evaluierungen sind auch geeignete Instrumente, um korrekte Mittelverwendung zu gewährleisten. Eine Überarbeitung von Programmen, wie es in der Verordnung vorgesehen ist, kann zur Unterstützung sinnvoller europäischer Politiken notwendig werden. Allerdings darf der Verwaltungs-, Berichts- und Evaluierungsaufwand im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln nicht überbordend sein.

Die Administration der europäischen Fonds neigt zusehends dazu, die eigenen Ressourcen aufzubrauchen. Und die Neuerungen von Zielindikatoren, jährlichen Durchführungsberichten, Leistungsüberprüfungen und Finanzkorrekturen deuten auf ein weiteres Ansteigen des bereits heute großen Administrationsaufwandes hin.

Die Programme sind mit gutem Recht auf sieben Jahre ausgelegt, wodurch mehrjährige Förderungen von einzelnen Projekten möglich werden. Förderprogramme brauchen auch Vorlaufzeiten, bis sie greifen und Ergebnisse zeigen können. Das Erreichen von vereinbarten Zielindikatoren ist darüber hinaus von unterschiedlichen Einflussfaktoren außerhalb des jeweiligen Programmes abhängig. Zum Beispiel ist das Ziel, Arbeitskräfte durch spezielle Schulungen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, nicht ausschließlich vom Bildungsprogramm sondern von der jeweiligen Arbeitsmarktlage und der Wirtschaftsentwicklung abhängig.

Durch die Anpassungen der Programme kann die Finanzierungs- aber auch Planungssicherheit von Förderprogrammen und Projekten sowie die Erreichung von Politikzielen gefährdet werden. Und die Zurückhaltung von Fördergeldern trifft in den meisten Fällen die Endbegünstigten, die primär die Nutznießer der Kohäsionspolitik sein sollten. Dazu gehören auch Privatpersonen, Unternehmen und Gemeinden, die keinen Einfluss auf die Zielerreichung der ex-ante Konditionalitäten haben.

Economic Governance – das Maß aller Dinge?!

Der zweite Sanktionsmechanismus zielt auf die Verknüpfung der Kohäsionspolitik mit der allgemeinen wirtschaftspolitischen Steuerung der EU und dem Europäischen Semester ab. Die Kohäsionsfondsprogramme müssen sich in die nationalen Reformprogramme einfügen und sollen die Strukturreformen und Maßnahmen, die in den länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters festgehalten wurden, auch aufnehmen. Ist dies nicht der Fall, kann die Kommission Mitgliedstaaten im Rahmen der sogenannten „makroökonomischen Konditionalitätsklausel“ auffordern, Programme abzuändern, damit die Kohäsionspolitik zentrale Austeritätspolitiken unterstützt und umsetzt.

Kommt ein Mitgliedstaat im Rahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung seinen Verpflichtungen nicht nach bzw. ergreift der Mitgliedstaat keine ausreichenden  Maßnahmen, um ein exzessives Defizit oder makroökonomische Ungleichgewichte auszugleichen, oder aber stellt der Rat fest, dass der Mitgliedstaat keine korrektiven Maßnahmen ergriffen hat, regiert die Kommission im Rahmen der Kohäsionspolitik.

Zuerst sollen die Verpflichtungsermächtigungen und als Verschärfung die Zahlungsverpflichtungen gestrichen werden. Die Mittel können auch eingefroren werden, wenn wiederholt die wirtschaftspolitischen Empfehlungen nicht umgesetzt  werden. Ein Stufenplan sieht die Suspendierung der Kohäsionsfondsmittel bis 100 % vor.

Starker Tobak, auch wenn im Rechtsetzungsprozess einige Abschwächungen durchgesetzt werden konnten: bei der Prüfung der Sanktionsmechanismen müssen  soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten des Mitgliedstaats berücksichtigt werden  bzw ist die Verhältnismäßigkeit zwischen nationalen Kohäsionsfondsmittel und möglicher Zielerreichung zu bewahren. Zusätzlich schaltet sich im sehr komplexen Durchsetzungs- und  Entscheidungsprozess das Europäische Parlament mit einem „strukturierten Dialog“ ein.

Die Zwangsjacke für Krisenländer wird noch enger gezurrt

Hiermit wurde ein zusätzliches Druckmittel implementiert, europäische Krisenländer, die ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits oder makroökonomischen Ungleichgewichts haben, noch enger an die Kandare zu nehmen. Diese makroökonomischen Konditionalitäten sind grundsätzlich abzulehnen,  weil sie dem solidarischen Ziel der europäischen Kohäsionspolitik, Disparitäten abzubauen, widersprechen.

Eine Kürzung der Kohäsionsmittel als „Strafzahlung“ bei Nichteinhaltung von EU-Vorgaben oder Auflagen im makroökonomischen Bereich verschärft den durch die erzwungenen Sparmaßnahmen verursachten Rückgang der wirtschaftlichen Leistung zusätzlich. Darüber hinaus erschwert oder verunmöglicht sie die gerade für Krisenländer notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Arbeitsmarktpolitik, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und steigender Armut entgegen zu wirken. Diese Konditionalitäten sind grundsätzlich kontraproduktiv, sie wirken prozyklisch, restriktiv und generell erschwerend, um aus einer Krise herauszukommen.

Die „Strafzahlungen“ würden die Kohäsionsländer besonders treffen, die im EU-Vergleich wirtschaftlich schwächer sind. Aber gerade für diese Länder ist die Kohäsionspolitik vor vielen Jahren eingeführt worden! Die Finanzkrise hat die Kohäsionsländer an der Peripherie Europas im Vergleich besonders hart getroffen, wodurch sie, um liquid zu bleiben, die Austeritätspolitiken der Troika umzusetzen haben. Anstatt die Probleme zu verschärfen, sollte die EU vielmehr Wachstumsimpulse setzen, indem sie ihre Unterstützung verstärkt, damit die Staaten trotz Budgetproblemen ihre Programme und Investitionen umsetzen können.

Dieser Sanktionsmechanismus verstärkt die vorherrschende Politik, jene die Zeche zahlen zu lassen, die am wenigsten für die staatliche Verschuldung verantwortlich gemacht werden können, nämlich die breite Bevölkerung! In den letzten Jahren hat die Kommission keine Mühen gescheut, um den Menschen in den europäischen Regionen vor Augen zu führen, was mit EU-Mitteln Positives bewirkt wird. Jetzt wo die EU-finanzierten Projekte auch sichtbar geworden sind, wird der Imageverlust der europäischen Institutionen wohl enorm sein, wenn die sog. Endbegünstigten erfahren müssen, dass die Mittel gekürzt und eingefroren werden.

Gerade in schwierigen Zeiten ist die europäische Kohäsionspolitik auszubauen, indem mit den Instrumenten des EU-Budgets, den Strukturfonds, eine effektive und eigenständige Investitionspolitik zur Überwindung der Krise entwickelt wird! Die Strukturfonds der Haushaltsdisziplin unterzuordnen, ist definitiv der altbekannte Holzweg!