Was bringt die neue 15a-Vereinbarung zu Elementarpädagogik? 

20. Mai 2022

Grundsätzlich nehmen in Österreich Bund und Länder ihre Aufgaben getrennt und unabhängig voneinander wahr. Das führt in vielen Bereichen dazu, dass Zuständigkeiten aufgeteilt sind und das Zusammenwirken vieler Stellen erforderlich, aber nicht immer sachpolitisch hilfreich ist. In 15a-Vereinbarungen (Bund-Länder-Vereinbarungen) können Bund und einzelne oder alle Bundesländer bindende Vereinbarungen über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches schließen. Der Fleckerlteppich an Verantwortungen und Zuständigkeiten kann mithilfe von 15a Vereinbarungen nicht vollständig gelöst werden, die Verantwortung wird weiter zwischen den politischen Stakeholder:innen hin und her geschoben. Die daraus resultierende Verlangsamung politischen Handelns ist gerade bei den Zukunftsthemen wie Bildung, Pflege oder Umwelt fatal. Im Bereich der Elementarpädagogik ist die Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG wesentlich für Investitionen des Bundes, die an gewisse Bedingungen für die Länder und Gemeinden geknüpft sind – etwa beim Ausbau, der Qualitätsentwicklung und -sicherung in Österreichs Kindergärten. Die bisherige 15a Vereinbarung läuft 2022 aus, der Entwurf der neuen Vereinbarung soll am 20.5.2022 in der Landeshauptleutekonferenz unterzeichnet werden – eine Analyse von Versäumnissen und Chancen.

Finanzielle Neuerungen der 15a-Vereinbarung für die Elementarpädagogik

Mit Blick auf die finanziellen Anpassungen, sucht man nach der im Regierungsprogramm der Bundesregierung versprochenen substanzielle Aufstockung in der vorliegenden 15a Vereinbarung vergeblich:

Der jährliche Zweckzuschuss des Bundes wurde von 142,5 Mio. Euro auf 200 Mio. Euro, also um 40% erhöht. Hiervon müssen 80 Mio. Euro (im Unterschied zu bisher 70 Mio. Euro) für die Besuchspflicht gemäß Art. 5, pro Kindergartenjahr zur Verfügung stehen. Auch die Laufzeit wurde von 3 auf 5 Jahre erhöht. Diese, als Kindergartenmilliarde verkaufte Erhöhung ist aber zu wenig: Auf Basis internationaler und nationaler Berechnungen fordern die Sozialpartner:innen gemeinsam mit der IV eine Erhöhung der Mittel um 1 Mrd. mehr pro Jahr. Berechnungen des wirtschaftsliberalen Forschungsinstituts ECO Austria kommen sogar zu dem Schluss, dass es 1,6 Mrd. Euro (1,14 % der Wirtschaftsleistung) mehr bräuchte um einen Ausbau in Richtung europäischer Vorbildländer wie Dänemark zu schaffen.

Für die Länder positiv wird sich die erhöhte Flexibilität erweisen. So werden die flexibel verwendbaren Anteile von 10% auf 30% erhöht. Auch die Voraussetzungen für die Mittel der Sprachförderungen werden vereinfacht und dürften häufiger ausgeschöpft werden. Für die Gemeinden könnten die Personalkostenzuschüsse eine gewisse Erleichterung darstellen. Diese sind darauf ausgerichtet, einen Anreiz für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels zu geben, sollen erstmals nicht nur für bestehende Einrichtungen und Gruppen, die mit einem Betreuungsschlüssel von 1:4 (für Unter-Dreijährige) und 1:10 (für 3-5-Jährige), sondern auch jene die den Betrieb in einem solchen Betreuungsschlüssel eröffnen, zur Verfügung stehen. Auch hier wird die Flexibilität im Übergang von der laufenden 15a Vereinbarung etwas erhöht.

Zielsetzungen und deren Umsetzungsmaßnahmen

Auch die in der Vereinbarung festgehaltenen Zielsetzungen und Maßnahmen sind ambivalent zu bewerten:

Positiv sind die Überarbeitungen der Zielsetzungen und ihrer Umsetzungsmaßnahmen: Elementarpädagogik wird erstmals als unverzichtbarer Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und somit zur Gleichstellung formuliert sowie als Grundstein für eine positive Bildungslaufbahn und Bildungschancen. Zur Schaffung eines qualitätsvollen und leistbaren Angebots auch im Sinne der Vollzeitbeschäftigung von Eltern wurden folgende Ziele festgeschrieben:

  • flächendeckendes Betreuungsangebot an qualitativ hochwertigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für alle Familien, die es wollen,
  • flächendeckender Ausbau, v.a. von Plätzen für unter Dreijährige und Fokus auf noch unterversorgte Regionen,
  • Verlängerung und Flexibilisierung der Öffnungszeiten, insbesondere jener die mit einer Vollbeschäftigung von Eltern vereinbar sind (VIF-konform) sowie
  • Angebote zu Randzeiten, die sprachliche Frühförderung, sowie qualitativ durchgängig hochwertige Angebote für alle Kinder.

Da es sich lediglich um nicht wirklich bindende Ziele handelt, die sich in keiner Weise in gesetzlichen Rahmenbedingungen wiederfinden, sind die Zielformulierung nicht sehr wirksam. Zwar wird in der 15a Vereinbarung das Controlling und Reporting explizit gestärkt – so soll das Bildungsministerium Ressourcen-, Ziel- und Leistungsgespräche durchführen, die den Grad der Zielerreichung durch die Länder zum Inhalt haben. Eine anständige Bedarfserhebung und vor allem Bedarfsplanung wird jedoch nicht gestartet und wäre für evidenzbasierte Planung und Ausführung das entscheidende Instrument. Notwendig wäre ein übergreifender Abstimmungsprozess zu den sachpolitischen und funktionalen Zielen für den elementaren Bildungsbereich, die für alle drei föderalen Ebenen im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung gemeinsam verpflichtend sind. Die Erwartungen in den vom Bildungsminister 2020 einberufenen Beirat für Elementpädagogik waren groß: endlich bundeseinheitliche Qualitätsstandards; einen klaren politischen Auftrag an das Bildungsministerium, Qualitätskriterien mit Fokus auf Qualifikation, Gruppengrößen, Fachkraft-Kind-Relation, Raumbedarf und Ausstattung und Qualitätssicherung; diese Chance wurde nicht ergriffen, vielmehr der Fleckerlteppich der Kompetenzen weiterhin als Ausrede gegen politische Verantwortung vorgeschoben. Ohne diese bindenden Rahmenbedingungen wird nun aber am Problem vorbei investiert und das Wirkungspotential der ersten Bildungseinrichtung nicht ausgeschöpft. Der quantitative Ausbau ist zwar wichtig, (inter-)nationale Erfahrungen zeigen aber, dass zeitgleich auf die Qualität der pädagogischen Arbeit und damit auch auf die Arbeitsbedingungen der Elementarpädagog:innen fokussiert werden muss.

Betreuungsschüssel und -quote

So lässt sich etwa am Beispiel der Betreuungsschlüssel zeigen, dass bundesweit einheitliche, an wissenschaftlich fundierten Standards und Empfehlungen orientierte Qualitätskriterien zu altersadäquaten Gruppengrößen und Betreuungsschlüssel weiter fehlen. Für die Qualität der Interaktion und Förderung ist aber ein guter Betreuungsschlüssel zwischen pädagogischer Fachkraft und Kindern entscheidend. Wissenschaftliche Erkenntnisse empfehlen dabei beispielsweise die Reduzierung von Gruppengrößen je nach Alter der Kinder in einer bestimmten Gruppenform: Für junge Kinder bis zum 3. Lebensjahr wird ein Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:3 bis maximal 1:6 empfohlen, die Gruppengröße sollte 6 bis max. 12 Kinder betragen. Für Kindergartenkinder im Alter von 3 bis 6 Jahren wird je nach Altersverteilung ein Schlüssel von 1:5 bis max. 1:10 empfohlen. Optimal sind in dieser Altersgruppe etwa 7 Kinder pro Fachkraft und eine Gruppengröße zwischen 14 bis max. 20 Kindern pro Gruppe. In altersübergreifende Gruppen von 1- bis 6 -Jährigen sollten max. 15 Kinder, davon höchstens 5 Kinder unter 3 Jahren, sein.

Auch bei der Betreuungsquote wird zwar einmal mehr versucht, die Barcelona-Ziele zu erfüllen, obwohl diese von Expert:innen schon jetzt als nicht mehr ausreichend eingestuft werden. Selbst diese hat Österreich bei den Unter-Dreijährigen aber bislang noch immer nicht erfüllt, 2020 betrug die Betreuungsquote der unter Dreijährige 27,6%. Sie soll nun pro Bundesland und Jahr um 1 Prozentpunkt angehoben werden, um 2022/23 mindestens 33 Prozent zu erreichen. Außerdem soll der Anteil der drei- bis sechsjährigen Kinder, die in einen vereinbarkeitskonformen (VIF-konformen) Kindergarten gehen, österreichweit im Kindergartenjahr 2022/23 auf 52,8 Prozent erhöht werden. Laut Kindertagesheimstatistik betrug diese Quote 2020 51,8%. Ambitionierte Ziele schauen wirklich anders aus!

Elementarpädagogik als Berufsfeld

Für die Qualität in der elementaren Bildung sind gute Arbeitsbedingungen entscheidend. Aktuell beobachten wir jedoch leider schlechte Arbeitsbedingungen, die durch die große Belastung der Elementarpädagog:innen im Zuge der Corona-Pandemie nochmals verschärft wurden. Immer mehr Fachkräfte in der Elementarbildung beenden ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der hohen Belastungen und nicht zufriedenstellenden Rahmenbedingungen.

Qualität von Kindergartenplätzen wird nicht ohne genügend qualifiziertes und motiviertes Personal funktionieren. Zusätzlich treten auch in Kindergärten in den nächsten Jahren viele Kolleg:innen ihren wohlverdienten Ruhestand an. Die neue 15a Vereinbarung hätte eine Chance sein können, zur Steigerung der Attraktivität des Berufs beizutragen und Menschen langfristig für den Beruf zu begeistern. Neben den Rahmenbedingungen der täglichen Arbeit hätte es eine ausgebaute Supervision nach bundeseinheitlichen Standards gebraucht, um Überlastungen durch diese herausfordernde Arbeit entgegenzuwirken.  

Bezüglich der Ausbildung wird zwar zumindest das Streben nach einer bundesweit einheitlichen Qualifikation der Fachkräfte in geeigneten elementaren Bildungseinrichtungen genannt. Hier hätte der Bund im Zuge der Verhandlungen durchaus den Stein für eine sofortige Ausbildungsoffensive, um Personallücken ehestmöglich zu schließen, ins Rollen bringen können.

Inklusion und Integration

Was zudem auffällt: Obwohl Inklusion in den elementaren Bildungseinrichtungen noch kaum gelebte Realität ist und der aktuelle Entwurf des Nationalen Aktionsplan Behinderung hohe Ziele für die Inklusion angestrebt, schafft die 15a Vereinbarung keinerlei Rahmen oder Mittel um diesem Ziel auch nur in Ansätzen gerecht zu werden.

Auch die sozioökonomische Integration bleibt ein Fragezeichen: Zwar wird ein qualitätsvolles und leistbares elementares Bildungsangebot angestrebt, es findet sich in den Vereinbarungen jedoch keine Definition von „leistbar“ – auch nicht in den Erläuterungen. Insofern wird weiterhin der sozioökonomische Status bestimmend für den Zugang zum Kindergartenplatz sein. Und auch das zweite verpflichtende und kostenlose Kindergartenjahr für alle ab vier Jahren, das sich im Forderungskatalog der Sozialpartner:innen und IV findet, wird mit dieser neuen 15a Vereinbarung neuerlich nicht umgesetzt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Was es wirklich braucht!

Auch wenn einige Punkte der neuen 15a Vereinbarung zwar begrüßenswert sind, für einen qualitativen und quantitativen Ausbau der Elementarpädagogik, für flächendeckende, flexible sowie leistbare Kinderbetreuung und hochwertigen Elementarbildung braucht es sehr viel höhere Investitionen und nachhaltige Verbesserungen. Ohne bindende Rahmenbedingungen wird nun an den Problemen vorbei investiert, und sowohl die Qualität der pädagogischen Arbeit als auch die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Elementarbildung auf die lange Bank geschoben. Die Länder können sich auf den Bund, der Bund auf die Länder ausreden – eine große Chance für die Bildungsgerechtigkeit in Österreich wurde mit dem Abschluss dieser 15a Vereinbarungen Elementarpädagogik verpasst.

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