Crowdfunding – Notwendige Finanzierungsalternative oder Vorwand hin zur Finanzmarktliberalisierung?

16. Mai 2013

Angeblich haben es kleine und mittlere Unternehmen in Österreich derzeit schwer an Geld zu kommen: Sie möchten gerne gründen, zusätzliches Personal anstellen, investieren oder einfach nur ihre laufenden Rechnungen begleichen, aber die Banken geben ihnen das dazu notwendige Geld nicht oder nur mit hohen Auflagen. Von Seiten der Wirtschaft wird die Schuld daran vor allem der zunehmenden Risikovermeidung der Banken gegeben, die Lösung wird in einer Lockerung von relevanten Finanzmarktvorschriften – Bankwesen- und Kapitalmarktgesetz – gesehen.

Die gesamte Problematik spielt sich vor der passenden Zeitgeistdebatte ab, in der Banken als Wurzel allen Übels gesehen werden. Ganz falsch ist dies natürlich nicht, trotzdem sollte dem Wunsch nach konkreten gesetzlichen Änderungen als erster Schritt eine nachvollziehbare Analyse bestehender Probleme vorangehen. Makroökonomisch betrachtet sind die Anzeichen für eine Kreditklemme in Österreich denkbar gering: Derzeit gibt es weniger ein Finanzierungs- denn ein Konjunkturproblem. Daten der OeNB und von Statistik Austria zeigen, dass der Sektor der nichtfinanziellen Unternehmen seit 2009 einen positiven Finanzierungssaldo und hohe Einlagen im Vergleich zu den Bruttoanlageinvestitionen aufweist – die Unternehmen „sitzen“ also vereinfacht gesagt auf mehr Geld, als sie investieren wollen. Wie schon zu Zeiten von Keynes geht es wohl derzeit eher um eingeschränkte Absatzerwartungen: Firmen investieren nicht, weil sie davon ausgehen, dass niemand ihre Produkten kaufen kann.

Demgegenüber steht viel an anekdotischer Evidenz: Irgendwer kennt immer einen ambitionierten IT-Unternehmer, der sich mangels Gründungsfinanzierung gerade in die USA geflüchtet hat, oder ein alternatives kommunales Energieversorgungsprojekt, das am Geld scheitert oder auch einen tüchtigen Waldviertler Schuster.

Finanzmarktliberalisierung als Lösung?

Ein zweiter Schritt muss nach einer faktenbasierten Analyse auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel zum identifizierten Problem sein. Dieser zweite Schritt wird derzeit ebenso wenig vollzogen, wie der erste: Den zitierten unterschiedlichen Finanzierungsproblemen soll, geht es nach dem Willen der Wirtschaft, mit massiven Liberalisierungen bestehender zentraler Finanzmarktgesetze begegnet werden. Im Fokus der diversen Vorschläge, die derzeit auch auf parlamentarischer Ebene diskutiert werden sollen, stehen das Bankwesen- und das Kapitalmarktgesetz, vorgeschlagen werden aber auch steuerliche Anreize zur Entlastung privater Investitionen in Unternehmen. Im Bankwesengesetz – so die Wirtschaft – sei der „Einlagenbegriff“ zu eng, das Kapitalmarktgesetz wiederum enthalte eine zu restriktive Interpretation der von der EU vorgegebenen Prospektpflicht und setze viel zu früh bei 100.000 Euro an.

Um Crowdfunding in Österreich zum Durchbruch zu verhelfen hat die Junge Wirtschaft zweierlei gefordert:

1)      Eine Modifizierung des Einlagengeschäfts, so dass dies auch für Unternehmen mit einer Höchstgrenze von 5 Millionen Euro möglich wäre um „realwirtschaftliche Investitionen“ zu ermöglichen

2)      Eine Aufweichung der absoluten Grenze der Prospektpflicht durch ein Stufenmodell (mit – je nach Emissionshöhe – mini, midi oder maxi Informationspflichten)

Unternehmen als Banken ohne Regeln?

Was eine Neudefinition des Einlagengeschäftes betrifft, so ist dies weder ökonomisch sinnvoll noch mit historischen Erfahrungen diverser Anlegerskandale in Einklang zu bringen. Ökonomisch hat die Bank eben genau die Funktion, die Gelder von SparerInnen entgegenzunehmen und auf mehrere Unternehmen zu verteilen, die sie vorher prüft. Spareinlagen sollten wenig Risiko haben und liefern eben auch wenig Ertrag – volkswirtschaftlich ein notwendiges Basisgeschäft, abgesichert durch ein letztlich staatlich garantiertes Einlagenschutzsystem. Geht es nach den LiberalisiererInnen werden nun die „guten“ Unternehmen, die „realwirtschaftliche Investitionen“ tätigen, von irgendwelchen anderen Unternehmen getrennt, wobei die guten Einlagen aus dem Publikum einsammeln dürfen und die anderen eben nicht. Wer die „guten“ sind, bzw was eine solche „realwirtschaftliche Investition“ definiert, wer sie prüft oder wer haftet, wenn doch nur unternehmerische oder private Löcher damit gestopft werden bleibt unklar. Ein enger „Einlagen“-Begriff, hinter dem ein Einlagensicherungssystem steht, ist nicht nur aus KonsumentInnenperspektive sondern auch deshalb sinnvoll, weil er im Falle leisester Anzeichen von Unternehmensproblemen einen Ansturm auf die Einlagen verhindern kann. So ein Ansturm bringt nicht nur das Unternehmen selbst in Bedrängnis, sondern auch seine Gläubiger und löst damit Dominoeffekte aus – genau das ist das Problem bei einem „Bank-Run“ und der bringt die Finanzmarktstabilität in Gefahr.

AnlegerInneninformation im Mini-, Midi- oder Maxiformat?

Zum zweiten Punkt: Der zentrale Gedanke des Prospekts ist es, eine Entscheidungsgrundlage für interessierte AnlegerInnen zu sein. Dieser Emissionsprospekt wird von der FMA auf Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit überprüft und erst danach gebilligt. Die kapitalaufbringende Gesellschaft darf erst nach dieser Billigung den Prospekt veröffentlichen und sich mit dem Angebot an das Anlegerpublikum wenden. Es gibt mit diesem Vorgang eine ex-ante Prüfung. Das alles würde mit der Staffelung wegfallen. Mini- oder Midi-Berichtspflichten können eine testierte Bilanz inklusive Gewinn- und Verlustrechnung nicht ersetzen. Damit sind aber wesentliche Transparenz- und Publizitätsbestimmungen, die ua dem zur Beseitigung von Informationsasymmetrien und dem Schutz von AnlegerInnen dienen, nicht gegeben. Anders gesagt: Mann und frau weiß einfach nicht, ob der Emittent zu Recht kein Geld von der Bank bekommt, oder ob die Bank hysterisch ist – beides ist möglich, Entscheidungsgrundlage ist das eigentlich keine.

Fazit: Weniger Transparenz und Risikoverlagerung auf kleine SparerInnen

Die Vorschläge der Wirtschaft sind in mehrfacher Hinsicht Themenverfehlung. Denn nur, weil ein regionaler Unternehmer der Hausbank sein Business-Konzept nicht plausibel darstellen kann, sollen gleich die Finanzmarktgesetze der Republik auf den Kopf gestellt werden. Die Vorschläge der Wirtschaft zielen im Kern weniger auf das Beseitigen bürokratischer oder teurer Hürden ab, sondern sind ein Schritt zurück in die Geschichte: Weniger Transparenz und das Delegieren von unternehmerischen Risiken auf die kleinen SparerInnen. Dass dieses liberale Projekt auch noch unter der Flagge der „Bürgerbeteiligung“ segelt, ist auch wieder so eine Uminterpretation der Geschichte.

Statt sich vermeintlich progressiv, in Wirklichkeit aber sehr neo-liberal, über Finanzgesetze herzumachen, sollten alternative Wege im Gesellschaftsrecht diskutiert werden – wie aktuell der Wegfall der Prospektpflicht bei Genossenschaften – oder (finanzielle) Unterstützungen, die Unternehmen hin zu mehr Transparenz führen. Prospekte sollen für die Unternehmer günstiger werden, sei es durch mehr Wettbewerb bei der Wirtschaftsprüfung oder direkte Förderungen.