Big Data in der Bildung: “Educational Data Mining” und “Learning Analytics” als Herausforderungen für das Bildungswesen

19. Mai 2016

Viele Klassenräume sind heutzutage mit interaktiven Whiteboards ausgestattet, Vorlesungen werden durch Online-Angebote ergänzt und Lernende können sich durch Abstimmungs- und Feedback-Apps in Echtzeit einbringen. Selbst ganze iPad-Klassen sind keine Seltenheit mehr. Längst hat der digitale Wandel Schulen und Hörsälen ergriffen. Doch wie verändert die vielbeschworene Digitalisierung das Lernen? Und welche Chancen und Risiken gehen mit wachsenden Datenmengen im Bildungswesen einher?

 

Leistungsprognosen und Benchmarking

Fest steht, dass Klausurnoten und Zeugnisse auch in Zukunft zum Schulalltag gehören werden. Doch neben solche etablierten Formen der Leistungsevaluation treten neue, informelle Insights:

  • Lehrende können auf E-Learning-Plattformen nicht nur sehen, wie oft die Folien der letzten Veranstaltung heruntergeladen wurden, sondern erhalten zugleich detaillierte Statistiken darüber, wie lange sich Studierende einloggten und womit sie sich währenddessen beschäftigten.
  • Wo Tablets und E-Books klassische Schulbücher ersetzen, lässt sich ohne weiteres nachvollziehen, wie schnell SchülerInnen lesen, welche Stellen sie zur Klausurvorbereitung wiederholen oder wer die Pflichtlektüre gar nicht gelesen hat.
  • Bei Onlinekursen, sog. MOOCs (Massive Open Online Courses), kann der Clickstream aller TeilnehmerInnen verfolgt und daraus präzise auf das Lernverhalten Einzelner geschlossen werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Technik und Ziele

Erst durch den Einsatz digitaler Lernmittel wird es möglich, umfangreiche Daten zu erheben. Die tatsächlichen Herausforderungen und Verheißungen der Digitalisierung liegen aber im nächsten Schritt – der Verknüpfung und Analyse dieser weitgehend unstrukturierten Daten mittels Educational Data Mining (EDM) und Learning Analytics (LA). Erklärtes Ziel ist die Optimierung des individuellen Lernprozesses. Dabei geht es nicht nur darum, das bisherige Lernverhalten abzubilden, sondern auch zukünftige Lern- und Leistungsentwicklungen zu prognostizieren. Solche korrelationsbasierte Prognosen (sog. Predictive Analytics) spielen auch in anderen Bereichen – etwa bei der Strafverfolgung – eine zunehmend wichtige Rolle. Sie erlauben es beispielsweise, Lernschwächen von Schülerinnen und Schülern frühzeitig zu adressieren. Zugleich bergen Algorithmen, die sich allein auf vergangenheitsbasierte Daten stützen, aber auch ein beachtliches Diskriminierungsrisiko.

Welche Daten Lernende liefern und wo sie landen

Um welche Daten es geht, zeigt der Blick ins Ausland: In den USA etwa greifen immer mehr Lehrerinnen und Lehrer zu Classroom-Management-Systemen und Apps, die den Unterricht bereichern können. Doch die wenigsten dieser Anwendungen sind aufeinander abgestimmt, geschweige denn von staatlichen Aufsichtsbehörden genehmigt. Ihr Einsatz erfolgt also weitgehend unreguliert, es fehlt vielfach an grundlegenden Sicherheitsstandards und ein Opt-Out der betroffenen Schülerinnen und Schüler ist nicht vorgesehen. Hinzu kommt, dass die Qualität der Datenerhebung höchst unterschiedlich ist – was sich wiederum unmittelbar auf die Qualität der darauf basierenden Prognosen auswirkt. Einen eindrucksvollen Überblick der Daten, die durch eLearning-Angebote, Prepaid-Mensakarten, mit RFID-Chips versehenen Studierendenausweise oder den SchülerInnen überlassenen Tablets generiert werden, liefert diese Grafik.

Die so erhobenen Daten landen nicht nur bei Schulen und Universitäten, sondern auch in Wissenschaft und Verwaltung. Sie erlauben beispielsweise die Evaluierung von Einrichtungen, Lehrenden und Curricula. Doch auch die Wirtschaft hat ein großes Interesse an den Daten. Hier ist nicht nur an klassische Dienstleister im Bildungsbereich (z.B. Fachverlage oder Nachhilfeinstitute) zu denken, sondern auch an Arbeitsvermittler und Recruiting-Abteilungen. Mitunter liegen solchen Unternehmen weitaus mehr Daten vor als jeder Schule. Dass Lernende – zu einem beachtlichen Teil Minderjährige – Daten über ihr (Lern-)Verhalten preisgeben, schürt die Angst vor dem „gläsernen Schüler“ und ruft DatenschützerInnen auf den Plan.

Wie geht es weiter?

Der Blick über den Atlantik zeigt, dass insbesondere Universitäten eine Vorreiterrolle bei der Implementierung neuer Technologien einnehmen. So betonen LernforscherInnen, „[that] higher education cannot afford to not use data“. Derweil stehen Bildungseinrichtungen hierzulande noch am Anfang der Entwicklung. Dies sollten alle Beteiligten zum Anlass nehmen, sich mit den Risiken und Chancen der digitalisierten Bildung auseinanderzusetzen. Hier geht es keineswegs nur um die Entwicklung datenschutzkonformer Lösungen. Vielmehr gilt es, die wirtschaftlichen, pädagogischen und ethischen Konsequenzen einer allgegenwärtigen Datensammlung im Bildungswesen zu erörtern.

Dieser Beitrag beruht auf dem Dossier „Big Data in der Bildung – Learning Analytics, Educational Data Mining und Co.“ des Projekts ABIDA – Assessing Big Data.