Arbeitsbedingungen auf dem Corona-Arbeitsmarkt: in den Job um jeden Preis?

15. Februar 2022

Trotz einer Erholung am Arbeitsmarkt gibt es fast zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie im Jänner 2022 über 405.000 arbeitsuchende Menschen. Und das, obwohl Unternehmen einen dringenden Bedarf an Arbeitskräften proklamieren. Doch wie gestaltet sich die Arbeitsuche für jene Menschen, die während der Corona-Krise arbeitslos wurden und jetzt eine Beschäftigung suchen? Welche Arbeitsbedingungen akzeptieren sie, um wieder arbeiten zu können? Eine im Herbst 2021 durch die AK Wien durchgeführte Umfrage zeigt, dass sich die prekären Verhältnisse für Arbeitnehmer*innen durch die andauernde Krise verfestigen. Die angekündigte Reform des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) muss zu einer Verbesserung beitragen.

Wer findet wieder zurück in Beschäftigung?

Im September und Oktober 2021 wurden AK-Mitglieder zu ihren Erfahrungen während der Corona-Arbeitslosigkeit befragt. Im Rahmen dieser Umfrage wurde als Corona-Arbeitslosigkeit der Zustand von Personen bezeichnet, die seit Beginn der Corona-Pandemie (März 2020) arbeitslos wurden. An der quantitativen Umfrage, die nicht repräsentativ ist und via Facebook verbreitet wurde, nahmen 964 Personen teil. Die Umfrage wurde auf Deutsch und auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) zur Verfügung gestellt, wobei 801 Teilnehmer*innen auf Deutsch und 163 Teilnehmer*innen auf BKS antworteten.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Von den 964 befragten Personen, die seit Beginn der Corona-Pandemie arbeitslos wurden, waren zum Zeitpunkt der Befragung insgesamt mehr als die Hälfte weiterhin arbeitslos (55,1 Prozent). Die Grafik oben zeigt die Prozentzahlen nach Umfragesprache der Teilnehmer*innen: Der Anteil jener, die zum Zeitpunkt der Umfrage weiterhin arbeitslos waren, ist für die Teilnehmer*innen, die BKS als Umfragesprache wählten, um mehr als 10 Prozentpunkte höher als bei denjenigen, die auf Deutsch antworteten (63,8 % vs. 53,3 %). Weibliche Teilnehmer*innen, die auf BKS antworteten, waren überdurchschnittlich häufig weiterhin arbeitslos, lediglich knapp über ein Drittel befanden sich wieder in Beschäftigung (gegenüber knapp mehr als der Hälfte der Frauen, die auf Deutsch antworteten). Darüber hinaus fällt es ähnlich wie Langzeitbeschäftigungslosen insbesondere Menschen über 50 und Menschen mit Pflichtschulabschluss als höchstem Bildungsabschluss schwer, aus der Corona-Arbeitslosigkeit wieder in Beschäftigung zu gelangen.

Alter vs. neuer Job: Einkommen, Arbeitsweg, Qualifikationen

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Von jenen 431 Personen, die nach ihrer Corona-Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung hatten, sind lediglich 6,9 Prozent zu ihrem alten Dienstgeber zurückgekehrt. 401 Personen fanden einen Job bei einem anderen Arbeitgeber und davon akzeptierte fast die Hälfte weniger Gehalt: 44,8 Prozent der Teilnehmer*innen, die sich zum Zeitpunkt der Umfrage wieder in einem Arbeitsverhältnis befanden, bezogen ein geringeres Einkommen als zuvor (siehe Grafik 2). Überdurchschnittlich oft gaben jene Teilnehmer*innen über 50 Jahren (56,7 Prozent) und jene mit Pflichtschulabschluss (63 Prozent) an, dass das neue Einkommen niedriger ist. Aber auch fast die Hälfte derer mit Universitäts- oder FH-Abschluss (42,4 Prozent) erhielten ein niedrigeres Einkommen. Diese Entwicklung ist gleich auf mehreren Ebenen problematisch, denn: Ein geringeres Einkommen ist nicht nur für die Lebensrealität der einzelnen Person problematisch – insbesondere in Zeiten von Inflation und einem Anstieg der Wohn- und Lebenskosten –, sondern führt auch dazu, dass sich Arbeitsverhältnisse insgesamt verschlechtern, weil die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer*innen sinkt.

Fast die Hälfte akzeptierten schlechtere Arbeitsbedingungen: Für 44,8 Prozent der Teilnehmer*innen ist der Arbeitsweg zu ihrem neuen Arbeitsplatz länger als zuvor, wobei BKS-Teilnehmer*innen hiervon überdurchschnittlich oft betroffen sind (49,2 Prozent), ebenso Pflichtschulabsolvent*innen (51,9 Prozent). Fast die Hälfte der Teilnehmer*innen (46,2 Prozent) verneinte die Frage, ob der neue Job den persönlichen Ausbildungen und beruflichen Vorerfahrungen entspricht (Grafik 3). BKS-Teilnehmer*innen gaben überdurchschnittlich oft an, dass dies auf ihre neue Beschäftigung nicht zutrifft (52,5 Prozent), ebenso jene Teilnehmer*innen über 50 Jahre (52,2 Prozent). Diese Ergebnisse sind problematisch, weil durch die Aufnahme von zu niedrig qualifizierter Beschäftigung wichtige Facharbeit nicht genutzt wird. Es liegt auch der Verdacht nahe, dass Menschen, die unter ihrem tatsächlichen Qualifikationsniveau arbeiten und weniger verdienen, trotzdem Facharbeit erledigen, aber nicht dafür angestellt und bezahlt werden. Darüber hinaus wirft diese Entwicklung Diskussionsbedarf über die Vermittlungspraxis des AMS auf.

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Arbeitsbedingungen im neuen Job: instabile und prekäre Beschäftigungsverhältnisse

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Etwas weniger als ein Drittel der Befragten nehmen ihren neuen Arbeitsplatz als Rückschritt wahr, wobei hier BKS-Teilnehmer*innen wiederum über dem Durchschnitt liegen. Besonders betroffen von einem erlebten Rückschritt sind außerdem Arbeitnehmer*innen über 50 Jahren (Grafik 4). Doch um die Arbeitslosigkeit zu beenden, akzeptierten Teilnehmer*innen unsichere und zeitlich befristete Jobs: Über ein Drittelschätzt seinen bzw. ihren neuen Arbeitsplatz überhaupt nicht oder eher nicht sicher ein. Jede*r fünfte Teilnehmer*in ist in seinem bzw. ihrem neuen Dienstverhältnis überhaupt nicht oder eher nicht das ganze Jahr durchgängig beschäftigt. Mehr als die Hälfte können in ihrem neuen Job ihre Arbeit eher nicht oder überhaupt nicht selbst mitgestalten.

Arbeitsuchende zunehmend unter Druck

Jene, die wieder eine Beschäftigung aufgenommen haben, befanden sich durchschnittlich 5,2 Monate in Corona-Arbeitslosigkeit. Nur knapp weniger als die Hälfte fanden bereits in den ersten drei Monaten ihrer Corona-Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung (44,9 Prozent). Für ein Viertel der Teilnehmer*innen dauerte die Jobsuche zwischen vier und sechs Monate. 17,1 Prozent der Befragten waren zwischen sieben und zehn Monate arbeitslos. Jede*r zehnte Teilnehmer*in befand sich zwischen elf Monaten und 1,5 Jahren auf Jobsuche. Dies ist insofern problematisch, weil der Entgeltschutz (in der Höhe von 80 Prozent) lediglich für 120 Tage gilt und danach um 5 Prozent gesenkt wird. Der Entgeltschutz legt fest, dass arbeitsuchende Personen in ihrer neuen Beschäftigung in der Höhe von 80 Prozent der letzten Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes entlohnt werden müssen. Folglich musste fast die Hälfte der Teilnehmer*innen (die länger als vier Monate arbeitslos waren) bereits eine Reduktion von 25 Prozent in Kauf nehmen. Außerdem endet bereits nach 100 Tagen Arbeitslosigkeit der Berufsschutz. Nach Ende des Berufsschutzes müssen arbeitsuchende Menschen dann jeden vom AMS zugewiesenen Job annehmen, auch wenn sie eine Fachausbildung in einem anderen Beruf erworben haben. Für rund die Hälfte der Teilnehmer*innen bestand bei der Vermittlung in eine neue Beschäftigung kein Schutz vor Vermittlung in Jobs, für die sie überqualifiziert sind.

Beschäftigungsoffensive für einkommenssichernde Jobs mit guten Arbeitsbedingungen

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass arbeitsuchende Menschen bereit sind, schwerwiegende Abstriche zu machen, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Was ist also seitens der Arbeitsmarktpolitik und der Unternehmen erforderlich, um Arbeitslosenzahlen zu senken und Menschen eine sichere Beschäftigung unter guten Arbeitsbedingungen zu ermöglichen? Neben einer Wirtschaftspolitik des Herausinvestierens aus der Pandemiekrise und der Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten muss sich die aktive Arbeitsmarktpolitik auf Qualifizierung, öffentliche Beschäftigung, bessere Einkommenssicherung und ein gut ausgestattetes AMS fokussieren. Darüber hinaus braucht es:

  • Bessere Jobs: Arbeitgeber*innen müssen Jobs mit guten Arbeitsbedingungen, Sicherheit und entsprechender Entlohnung anbieten und bereit sein, in die Qualifizierung von neuen Beschäftigten zu investieren.
  • Qualifikationsoffensive und Recht auf Weiterbildung: Um eine dauerhafte Vermittlung in gute Jobs zu gewährleisten, muss Arbeitsuchenden die Möglichkeit geboten werden, ihre Qualifikationen auszubauen. Nur so kann das Risiko verringert werden, dass Arbeitsuchende in der Drehtür zwischen Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit gefangen sind.
  • Leistungsfähiges AMS und gute Vermittlung: Arbeitslose müssen durch eine qualifizierte Beratung vom AMS bei der Jobsuche unterstützt werden, um zu vermeiden, dass durch eine Vermittlung in niedriger qualifizierte Beschäftigung Wissen und Kompetenzen von Fachkräften entwertet werden. Dafür benötigt es ausreichend Fachpersonal beim AMS und genügend Mittel für Weiterbildungen.
  • Arbeitsmarktreform und Arbeitslosenversicherung: Die Arbeitslosenversicherung muss schützen und durch zeitgemäße Regeln für die Zumutbarkeit eines Arbeitsplatzes, insbesondere durch einen verbesserten Einkommens- und Berufsschutz, die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmer*innen auf Arbeitsuche stärken. Um die Existenz Arbeitsuchender – auch während Umschulung und Weiterbildung – zu sichern, muss die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent erhöht werden.
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