Das Aussetzen von Beschäftigungsverhältnissen – ein blinder Fleck in der Diskussion über Arbeitslosigkeit

09. November 2018

Wenn derzeit über Arbeitslosigkeit und spezifisch über den Einfluss der Arbeitslosenversicherung diskutiert wird, dann sind die Augen oft auf das Verhalten der Arbeitskräfte und deren Arbeitsanreize gerichtet. Kaum ein Thema ist hingegen das Einstellungs- und Kündigungsverhalten der Unternehmen. Dabei unterliegt auch dieses Anreizen, hat Einfluss auf die Arbeitslosigkeit und wird durch Institutionen wie die Arbeitslosenversicherung geprägt. Ein bisher unterbelichteter, aber bedeutsamer Aspekt davon ist die Aussetzung von Beschäftigungsverhältnissen.

Das „Zwischenparken beim AMS“

Um kurzfristige Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs auszugleichen, beendet ein Teil der Unternehmen in Zeiten geringerer Auslastung Beschäftigungsverhältnisse („Layoff“) und stellt anschließend bei verbesserter Auftragslage dieselben Arbeitskräfte wieder ein („Recall“). Die Unterbrechung dauert in der Regel nur kurz: wenige Monate, teils auch nur ein paar Tage. Unternehmen wählen diese Strategie, um in Zeiten geringerer Auslastung Personalkosten zu senken: Während der Aussetzung ersparen sie sich das Entgelt. Wenn sie später dieselben Arbeitskräfte wieder einstellen, vermeiden sie den Verlust von firmenspezifischem „Humankapital“ und Kosten für Neueinstellungen (Personalsuche, Einarbeitung etc.). Sie können also durch die Wiedereinstellung nach kurzer Arbeitslosigkeit auf bewährte und erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgreifen.

Die Kehrseite aus Sicht der öffentlichen Hand: Die betroffenen Arbeitskräfte sind häufig während der Beschäftigungsunterbrechung arbeitslos vorgemerkt und erhalten Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Manche sprechen daher von einem „Zwischenparken von Beschäftigten beim AMS“. Unternehmen, die diese Vorgehensweise systematisch einsetzen, wälzen damit einen Teil ihres Auslastungsrisikos auf die Allgemeinheit der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ab, darunter insbesondere diejenigen Unternehmen, die „befristete Beschäftigungsbeendigungen“ vermeiden. Hinzu kommen längerfristige negative Auswirkungen auf die Beschäftigungsintegration der betroffenen Arbeitskräfte.

Hohe Relevanz in Österreich

Ein Update einer Forschungsarbeit für den Jubiläumsfonds der OeNB des WIFO im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich bestätigt:

  • Das Aussetzen von Beschäftigungsverhältnissen ist seit Jahrzehnten gängige Praxis in Österreich.
  • Unternehmen in der Bauwirtschaft, im Tourismus und der Arbeitskräfteüberlassung wählen diese Personalanpassungsstrategie besonders oft. Beschäftigungsunterbrechungen haben aber keineswegs nur in Saisonbranchen, sondern in sämtlichen Wirtschaftsbereichen System, darunter etwa Verkehr und Lagerei, Kunst, Unterhaltung und Erholung, Grundstücks- und Wohnungswesen sowie Wasser-, Abwasser- und Abfallentsorgung.
  • Sie dienen auch häufig nicht dem Ausgleich saisonaler Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs, sondern der Abfederung sonstiger kurzzeitiger Schwankungen im Personalbedarf.

Breite Definition: Wiedereinstellungen innerhalb eines Jahres

Die konkreten Quantitäten sind von der Abgrenzung des Phänomens in den Sozialversicherungsdaten abhängig. Das WIFO betrachtet prinzipiell nur Fälle mit Arbeitslosigkeit während der Beschäftigungsunterbrechung. Werden in einer ersten, breiten Definition alle Wiedereinstellungen innerhalb eines Jahres berücksichtigt, so ist festzustellen:

  • Im Jahr 2017 waren 13,7 % aller Beschäftigungsaufnahmen Wiedereinstellungen bei ehemaligen ArbeitgeberInnen (Recalls).
  • Über ein Achtel der registrierten Gesamtarbeitslosigkeit dieses Jahres (11,6 %) entfiel auf „Layoff-Arbeitslosigkeit“, also auf registrierte Arbeitslosigkeit während der Beschäftigungsunterbrechungen.
  • Damit war die Layoff-Arbeitslosigkeit für rund einen Prozentpunkt der Arbeitslosenquote (8,5 % im Jahr 2017) verantwortlich.
  • Für die Arbeitslosenversicherung entstehen aus der vorübergehenden Verlagerung von Arbeitskräften in die Arbeitslosigkeit unmittelbare Mehrkosten in einer Größenordnung von rund 500 Millionen Euro pro Jahr (Aufwendungen für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe). Darin sind die vom AMS zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge während der Arbeitslosigkeit noch nicht berücksichtigt.
Dekoratives Bild © A&W Blog
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Kosten für 2017 sind noch untererfasst, da die Layoff-Arbeitslosigkeit von Personen mit Wiedereinstellung im Jahr 2018 noch nicht berücksichtigt ist.

Enge Definition: Wiedereinstellungen innerhalb von zwei Monaten

Um saisonale Beschäftigungsunterbrechungen auszuklammern und den Fokus auf sehr kurzfristiges und nicht saisonbedingtes Aussetzen von Arbeitsverhältnissen zu richten, wendet das WIFO zusätzlich eine zweite, enge Definition an. Dabei werden nur Wiedereinstellungen innerhalb von zwei Monaten betrachtet. Eine Unterbrechung von weniger als zwei Monaten ist nämlich kürzer als die typischen Saisonpausen. Bei Anwendung dieser Definition zeigt sich:

  • Wiedereinstellungen innerhalb von zwei Monaten machten im Jahr 2017 6,4 % aller Beschäftigungsaufnahmen aus.
  • 3,1 % der registrierten Gesamtarbeitslosigkeit dieses Jahres entfielen auf „Layoff-Arbeitslosigkeit“ während sehr kurzer Aussetzungen.
  • Damit war diese Form von Layoff-Arbeitslosigkeit für rund 0,3 Prozentpunkte der Arbeitslosenquote verantwortlich.
  • Der daraus entstehende Mehraufwand für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe liegt bei rund 110 Millionen Euro pro Jahr (ohne Aufwendungen für Sozialversicherungsbeiträge).

Rolle des institutionellen Zusammenspiels

In Österreich wird derzeit durch die institutionellen Rahmenbedingungen ein Anreiz gesetzt, kurzfristige Auslastungsschwankungen über Beschäftigungsbeendigungen und anschließende Wiedereinstellungen auszugleichen:

  1. Der Kündigungsschutz für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse ist relativ schwach ausgeprägt.
  2. Die Arbeitslosenversicherung springt während der Beschäftigungsunterbrechung mit Lohnersatzleistungen ein.
  3. Arbeitslose mit Einstellungszusage werden seitens der öffentlichen Arbeitsvermittlung kaum zur Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung angehalten, da ja bereits eine Wieder­einstellung in Aussicht steht.
  4. Die ArbeitgeberInnenbeiträge zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung sind nicht erfahrungsbasiert und risikoabhängig, sondern einheitlich. Dadurch wird für Unternehmen ein Anreiz zu einer stärkeren Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung gesetzt. Jene, die sich riskant verhalten und mit „befristeten Beschäftigungsbeendigungen“ hohe Kosten für die Sozialversicherung herbeiführen, werden implizit durch diejenigen Unternehmen quersubventioniert, die auf eine kontinuierliche Beschäftigung ihrer MitarbeiterInnen setzen.

Eine Möglichkeit, die auf die Allgemeinheit übertragenen Kosten stärker den VerursacherInnen anzulasten (zu „internalisieren“), wäre, die Beitragslast der Unternehmen in der Arbeitslosenversicherung risikoabhängiger zu gestalten – beispielsweise durch ein „Experience Rating“ in der Arbeitslosenversicherung. Diejenigen, die sich in ihrem Kündigungsverhalten „riskant“ geben und hohe Kosten für die Arbeitslosenversicherung herbeiführen, würden stärker selbst dafür aufkommen müssen. Im Gegenzug könnten jene Unternehmen, die weniger Kosten verursachen, entlastet werden. Das wäre im Sinne des Verursacherprinzips fairer und könnte, wie die Erfahrungen der USA zeigen, die derzeit bestehenden Anreize zu übermäßigen befristeten Kündigungen reduzieren.